Kommentar: Marktereignisse könnten im Sommer zu einer Aufweichung der EZB-Politik führen
Im Herbst 2022 rechneten die Märkte aufgrund von Unterbrechungen der Lieferketten und eines massiven Anstiegs der Gaspreise mit einer Rezession in der Eurozone. Doch zum Jahreswechsel erwies sich das Wachstum aufgrund sinkender Gaspreise und des für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Wetters als widerstandsfähiger als erwartet. „Ich glaube, dass die Europäische Zentralbank (EZB) ihren restriktiven Kurs vorerst beibehalten wird, sehe aber auch Risiken am Horizont, die ab dem Sommer zu einer deutlichen Aufweichung der Geldpolitik führen könnten“, sagt Tomasz Wieladek, europäischer Chefökonom beim Asset Manager T. Rowe Price.
In Anbetracht der starken Dynamik des Kern-HVPI (Harmonisierter Verbraucherpreisindex) und des robusten Wachstums werde die EZB wahrscheinlich eine restriktive Haltung einnehmen und ihre Geldpolitik in den nächsten Monaten weiter straffen. Die EZB werde daher nach Einschätzung von Wieladek in nächster Zeit wahrscheinlich ihren restriktiven Kurs fortsetzen, mit einem geschätzten Spitzeneinlagensatz von 3,75 Prozent und der wahrscheinlichen Einstellung aller Reinvestitionen im Rahmen des Programms zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) im dritten Quartal 2023.
Es gäbe aber wirtschaftliche Risiken am Horizont, die die EZB dazu bewegen könnten, gegen Mitte des Jahres von ihrem geldpolitischen Kurs abzurücken. Sollte zum Beispiel die derzeitige Bankenkrise in den USA zu einer Rezession in den USA führen, würde die Eurozone aufgrund der schwachen Auslandsnachfrage wahrscheinlich mit einer Verzögerung ebenfalls in eine Rezession geraten.
„Wir halten es für wahrscheinlich, dass sich mindestens eines dieser Szenarien in der zweiten Jahreshälfte herauskristallisieren wird, was die EZB veranlassen könnte, ihren Einlagensatz gegen Ende 2023 oder Anfang 2024 zu senken. Was bedeutet dies für Anlage- und Währungsentscheidungen? Wir gehen davon aus, dass die kurzfristigen Bundrenditen (Schatz) in nächster Zeit steigen werden, da die EZB ihre Geldpolitik weiter strafft. Daher sind wir bei den festverzinslichen Wertpapieren im Allgemeinen untergewichtet und im EUR/USD investiert. Zu Beginn des Sommers, wenn die oben erwähnten Risiken wahrscheinlicher werden, könnten wir versuchen, das Engagement in langfristigen Bundesanleihen zu erhöhen und das Long-Engagement in EUR/USD zu reduzieren“, so der Chefökonom abschließend. (DFPA/TH1)
T. Rowe Price ist ein Asset Manager mit einem verwalteten Vermögen von 1,19 Billionen Euro (Stand: 31. Dezember 2022).