DVFA-Monatsfrage: Investment Professionals für Transparenz bei ESG-Scorings
Der Berufsverband der Investment Professionals in Deutschland, die Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA), hat seine rund 1.400 Mitglieder befragt, was sie über den Erwerb des Stimmrechtsberaters Institutional Shareholder Services (ISS) durch die Deutsche Börse (DFPA berichtete) denken. In seiner Monatsfrage Dezember sollten die DVFA-Mitglieder zu einigen Thesen Stellung nehmen und Fragen über die möglichen Auswirkungen der Übernahme auf das ESG-Scoring beantworten. Insgesamt zeigt die Umfrage ein sehr geteiltes Bild, im Grundsatz jedoch herrscht nach Einschätzung der DVFA Einigkeit.
Der These 1, ESG-Scorings seien eine öffentliche, politische Aufgabe, die nicht von gewinnorientierten Unternehmen erarbeitet und verkauft werden sollten, stimmten 19 Prozent der Investment Professionals voll und ganz zu, weitere 30 Prozent stimmten eher zu. Dagegen stimmten 34 Prozent eher nicht zu und noch 17 Prozent stimmten der These überhaupt nicht zu. In den Kommentaren wurde auch klar, dass man sich ohnehin nicht blind auf einen Anbieter von ESG-Scorings verlassen dürfe, sondern sich selbst ein Bild zu den ESG-Risiken machen müsse. Es sei am Ende irrelevant, wer ESG-Scorings erarbeite. Wichtig ist allen, dass diese messbar, vergleichbar und zielorientiert sind.
Markt statt Definitionshoheit
Klar abgelehnt wurde These 2, ein Börsen- und Indexbetreiber sollte die Definitionshoheit über ESG-Scorings haben. 44 Prozent der Befragten stimmten der These eher nicht zu, weitere 31 Prozent stimmten überhaupt nicht zu, so dass insgesamt beachtliche drei Viertel aller Befragten die Definitionshoheit ablehnen. Dagegen stimmten der These 22 Prozent eher zu und lediglich drei Prozent stimmten voll und ganz zu. Die Kommentare zeigen, dass die DVFA-Mitglieder, statt einer Institution die Definitionshoheit zuzugestehen, auf den Markt vertrauen, auf dem unterschiedliche Scorings konkurrieren und die besten sich durchsetzen sollten.
Das Vertrauen auf den Markt zeigt sich in der eindeutigsten Reaktion der Investment Professionals auf These 3, es sei notwendig für einen diskriminierungsfreien Daten-Zugang und Transparenz der Scoring-Methode zu sorgen, um den Wettbewerb nicht zu verhindern oder behindern. Insgesamt stimmten 92 Prozent der These zu (56 Prozent voll und ganz, 36 stimmten eher zu). Sechs Prozent stimmten eher nicht zu, drei Prozent stimmten überhaupt nicht zu.
Argumente auch für zukunftsgerichtetes Scoring
Auch These 4, das ESG-Scoring solle sich ausschließlich auf Ist-Daten stützen, also keine Prognosen und Erwartungen über die künftige ESG-Performance des Emittenten einbeziehen, fand überwiegen Zustimmung. Diese These fand Unterstützung bei zwei Drittel aller befragten Investment Professionals, denn 33 Prozent stimmten voll und ganz zu und weitere 34 Prozent eher zu. Allerdings stimmten 22 Prozent eher nicht zu und noch elf Prozent stimmten überhaupt nicht zu. Aufschlussreich ist nach Meinung der DVFA auch hier der Blick in die Kommentare. So wurde der These mehrfach mit dem Argument widersprochen, dass ein Unternehmen, wie beispielsweise ein Atomkraftbetreiber, der sich an den Umbau zum Anbieter erneuerbarer Energien mache, erheblichen Kapitalbedarf habe und mehrere Jahre für die strategische Neuausrichtung brauche. Ein Ist-Scoring wäre somit eine faktische Bestrafung und würde das positive Vorhaben des Umbaus behindern. Daher sollte das Scoring zukunftsgerichtet sein, also genau umgekehrt zur These.
Eine Mehrheit der Befragten stimmte der These 5 zu, ESG-Scoring sollte von Dritten (zum Beispiel Wirtschaftsprüfern) testiert werden. Voll und ganz stimmten 24 Prozent zu, 38 Prozent stimmten der These eher zu. Dagegen stimmten 29 Prozent eher nicht zu und neun Prozent stimmten überhaupt nicht zu.
Zweimal fast gleichgroße Lager
Ein geteiltes Meinungsbild ergab die Reaktion auf These 6, es sei mit der Neutralität des Börsenbetreibers vereinbar, eine solche Dienstleistung im Konzernverband anzubieten. 52 Prozent stimmten ihr zu (14 Prozent voll und ganz, 38 Prozent stimmten eher zu). 49 lehnten sie ab (38 stimmten eher nicht zu, elf Prozent überhaupt nicht). In den Kommentaren wurde argumentiert, eine strikte Trennung der Geschäftsbereiche sei entscheidend für die Vereinbarkeit.
Ein ähnlich ausgewogenes Ergebnis auch bei These 7: Die Unabhängigkeit/Integrität des Börsenbetreibers bleibt auch dann gewahrt, wenn im Konzern sowohl essenzielle Dienstleistungen für die Aktionärsseite (Institutional Shareholder Services) als auch für die Emittentenseite (zum Beispiel ESG-Scoring) angeboten werden (Analogie zum Wirtschaftsprüfer). 50 Prozent stimmten der These zu (zehn Prozent voll und ganz, 40 Prozent stimmten eher zu). 38 stimmten der These eher nicht zu und elf Prozent stimmten überhaupt nicht zu. Auch hier wurde auf die außerordentliche Bedeutung der Ausgestaltung der Befugnisse und der Organisationsstruktur hingewiesen, unter der die Gewährleistung der Unabhängig gewährleistet sein könne. Wichtig sei zudem, dass der Börsenbetreiber seine öffentlich-rechtliche Funktion nicht schleifen lasse, weil mit anderen Geschäftseinheiten mehr Rendite erwirtschaftet werden könne.
Ein deutlicheres Meinungsbild ergab sich wieder bei These 8: Wenn im Konzernverbund sowohl Dienstleistungen für die Aktionärsseite (Institutional Shareholder Services) als auch für die Emittentenseite (zu Beispiel ESG-Scoring) verkauft werden, sind Interessenkonflikte nicht zu vermeiden. 25 Prozent stimmten der These voll und ganz zu, 43 Prozent stimmten zumindest eher zu. 27 Prozent hingegen lehnten sie eher ab, fünf Prozent stimmten überhaupt nicht zu. Auch hier wurde argumentiert, Chinese Walls seien eine unverzichtbare Voraussetzung, um mit den immanenten Interessenkonflikten umzugehen.
Hohe Bedeutung des ESG-Scorings
„Der hohe Rücklauf bei der Befragung und die zahlreichen Kommentare zeigen, dass das Thema ESG und damit verbunden das ESG-Scoring von außerordentlicher Bedeutung für eine erfolgreiche Zukunft des Kapitalmarkts ist“, sagt Christoph Schlienkamp, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des DVFA. „Die Mitglieder stehen mehrheitlich der Auffassung entgegen, dass ein Börsen- und Indexbetreiber die Definitionshoheit über ESG-Scorings haben soll. Die Mehrheit der DFVA-Mitglieder sieht zudem potentielle Interessenskonflikte zwischen den Dienstleistungen für die Aktionärs- und Emittentenseite. Hier ist die Deutsche Börse deutlich gefordert, transparente Chinese Walls zu implementieren, um immanenten Interessenskonflikten aus dem Weg zu gehen.“
Die DVFA Monatsfrage wendet sich an die 1.400 Mitglieder des Verbandes und widmet sich Themen, in der Finanzbranche diskutiert werden. Die Ergebnisse der Umfrage werden regelmäßig an jedem zweiten Dienstag im Monat veröffentlicht. (DFPA/jpw1)
Quelle: Pressemitteilung DVFA
Der DVFA Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e.V. (DVFA) mit Sitz in Frankfurt am Main ist die Standesorganisation aller Investment Professionals in den deutschen Finanz- und Kapitalmärkten. Für seine über 1.400 Mitglieder aus dem Investment- und Risikomanagement engagiert sich der Verband für die Professionalisierung des Berufsstandes, erarbeitet Standards, fördert den Finance-Nachwuchs und bringt sich in die regulatorische und politische Diskussion ein.