Studie: Mehr Menschen ziehen aufs Land
Im vergangenen Jahrzehnt hat sich das Wanderungsgeschehen in Deutschland gewandelt. Das zeigt eine aktuelle Untersuchung des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung und der Wüstenrot Stiftung. Während zum Ende der 2000er Jahre die meisten Gemeinden in dünn besiedelten und entlegenen Regionen Einwohner durch Abwanderung verloren und vor allem die Großstädte und ihr Umland Menschen in großer Zahl lockten, zählt heute der ländliche Raum zu den Wanderungsgewinnern. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend noch verstärkt.
„Die vielzitierte neue Landlust spiegelt sich im Umzugsverhalten wider. Unsere Analyse der Wanderungsstatistik zeigt auf, dass inzwischen tatsächlich mehr Menschen ihren Wunsch umsetzen und sich für ein Leben auf dem Land entscheiden als noch vor einem Jahrzehnt“, sagt Frederick Sixtus vom Berlin-Institut.
Die Analyse vergleicht die durchschnittlichen jährlichen Gesamtwanderungssalden pro tausend Einwohner der Jahre 2008 bis 2010 mit jenen der Jahre 2018 bis 2020. Im aktuellen Zeitraum erzielten deutschlandweit rund zwei von drei Landgemeinden Wanderungsgewinne - ein Jahrzehnt zuvor galt dies nur für rund jede vierte Landgemeinde. Diese wiesen von 2018 bis 2020 im Schnitt Wanderungsgewinne von 4,2 Personen je tausend Einwohner auf. Vor einem Jahrzehnt verloren sie jedes Jahr fast genauso viele Menschen durch Umzüge. Eine ähnliche Entwicklung erlebten die Kleinstädte. Auch sie profitieren von der neuen Landlust und können sich mittlerweile unterm Strich über einen Zuzug von fünf je tausend Einwohner freuen. Für die kleinen Gemeinden und Städte spielt es dabei kaum noch eine Rolle, ob sie in der Nähe einer Großstadt oder in der Peripherie liegen. Und auch zwischen Ost- und Westdeutschland hat sich das Wanderungsgeschehen weitgehend angeglichen.
Die neue Landlust geht zu Lasten der Großstädte, deren Wanderungssaldo seit 2016 sinkt. Dörfer und Kleinstädte waren damit zuletzt relativ gesehen beliebter als die Großstädte, die von 2018 bis 2020 im Schnitt nur jährliche Wanderungsgewinne von 2,5 je tausend Einwohner verbuchten. Im ersten Jahr der Pandemie 2020 rutschten die Großstädte sogar in den negativen Bereich und verloren unterm Strich knapp einen von tausend Bewohnern durch Umzüge.
„Die neue Landlust begann nicht erst mit der Corona-Pandemie. Die Entwicklung deutet sich schon länger an und hat seit 2017 Fahrt aufgenommen. Corona hat diesen Trend noch einmal verstärkt“, erläutert Catherina Hinz, Direktorin des Berlin-Instituts. Das Leben in der Stadt wird seit Ende der 2000er Jahre zunehmend teurer. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt und ermöglicht immer mehr Arbeitnehmern im Homeoffice zu arbeiten. Wenn die tägliche Fahrt zur Arbeit entfällt, wird für mehr Menschen ein Leben fernab der Großstädte denkbar. (DFPA/TH1)
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ist ein unabhängiger Thinktank, der sich mit Fragen regionaler und globaler demografischer Veränderungen beschäftigt. Das Institut wurde 2000 als gemeinnützige Stiftung gegründet und hat die Aufgabe, das Bewusstsein für den demografischen Wandel zu schärfen, nachhaltige Entwicklung zu fördern, neue Ideen in die Politik einzubringen und Konzepte zur Lösung demografischer und entwicklungspolitischer Probleme zu erarbeiten.