Erwartungen an EZB-Zinssenkungen sind verfrüht
Kommentar von Franck Dixmier (Allianz Global Investors) im Vorfeld der EZB-Ratssitzung am 14. Dezember 2023. Seiner Einschätzung nach sollte die EZB angesichts des „Markthypes“ eine vorsichtige Haltung einnehmen und ihre Wachsamkeit betonen:
Der Gouverneur der Banque de France, François Villeroy de Galhau, versprach kürzlich „langweilige" Sitzungen der Europäischen Zentralbank (EZB) und spielte damit auf eine längere Plateauphase der Zinssätze an. Wir sind jedoch der Meinung, dass die bevorstehende Sitzung von Anlegern besonders aufmerksam verfolgt werden sollte. Die zuletzt veröffentlichten Inflationszahlen in der Eurozone und die darauf folgenden Äußerungen der EZB-Mitglieder waren ein regelrechter Wendepunkt für die Märkte: Anleger scheinen seitdem die Aussicht auf künftige Zinserhöhungen aufgegeben zu haben und rechnen stattdessen mit aggressiven Zinssenkungen. Der Marktkonsens geht nun von Zinssenkungen von 150 Basispunkten bis Jahresende 2024 aus, wobei die erste Senkung bereits im März erfolgen soll.
Die Verlangsamung der Inflation hat die Anleger überrascht. Im November lag die Gesamtinflation bei 2,4 Prozent, was dem niedrigsten Wert seit Juli 2021 und einer erneuten Abschwächung gegenüber den 2,9 Prozent von Oktober entspricht. Die Kerninflation lag bei 3,6 Prozent gegenüber den 4,3 Prozent des Vormonats – ein Rückgang, der sich sowohl bei den Waren (2,9 Prozent gegenüber 3,5 Prozent) als auch bei den Dienstleistungen (vier Prozent gegenüber 4,6 Prozent) zeigte. Die allgemein rückläufigen Inflationszahlen werden zudem in der gesamten Eurozone verzeichnet, wodurch der tatsächliche Rückgang des Inflationsdrucks belegt wird.
Vor diesem Hintergrund wird die aktualisierte EZB-Prognose, bei der die Wachstums- und Inflationsaussichten wahrscheinlich nach unten korrigiert werden, mit Spannung erwartet. Dennoch sind wir im Einklang mit den jüngsten Äußerungen der Ansicht, dass die EZB angesichts des „Markthypes“ eine vorsichtige Haltung einnehmen und ihre Wachsamkeit betonen sollte:
- Isabel Schnabel, Mitglied des EZB-Rats, betonte kürzlich, dass das Lohnwachstum trotz negativer Produktivitätssteigerungen weiter stark (4,69 Prozent im dritten Quartal) bleibe. Das dürfte die Kerninflation weiterhin anfeuern;
- Auch das Ende einiger Basiseffekte, die hauptsächlich mit den Energiepreisen zusammenhängen, begünstigen einen abermaligen Anstieg der Inflation in der ersten Jahreshälfte 2024.
Wir sind daher der Meinung, dass die EZB mehr denn je betonen sollte, dass ihr geldpolitischer Kurs in hohem Maße an künftige volkswirtschaftliche Daten gekoppelt sein wird und dass sie mehr Klarheit über den weiteren Inflationsverlauf braucht, bevor Zinssenkungen in Erwägung gezogen werden können. Die EZB sollte die Erwartungen der Anleger daher dämpfen. Erwartungen, dass die Zinsen bereits im März gesenkt werden, erscheinen uns noch verfrüht. Der zuletzt daraus resultierende deutliche Rückgang der langfristigen Zinssätze ist weiterhin instabil. Nach der jüngsten Rallye ist hier eine Pause oder sogar eine Korrektur wahrscheinlich.
Franck Dixmier ist Global Head of Fixed Income, Chief Investment Officer Fixed Income Europe und Mitglied des Global Executive Committee beim Investment-Manager Allianz Global Investors in Frankfurt am Main. Das Unternehmen des Allianz-Konzerns verwaltet mit mehr als 600 Anlagespezialisten 516 Milliarden Euro Assets under Management für institutionelle und private Anleger in Aktien-, Renten-, Private-Markets- sowie Multi-Asset-Strategien. (Stand: 30. September 2023)