EZB: Ausweitung des PEPP nicht eilig, aber wahrscheinlich
Kommentar von Matteo Cominetta, Barings Investment Institute, im Vorfeld der EZB-Ratssitzung am 4. Juni 2020. Da die Inflationserwartungen auf ein immer niedrigeres Level hindeuten, hält er die Voraussetzungen für größere politische Anpassungen gegeben.
Das Hauptereignis dieser Woche für die EU-Märkte ist die morgen stattfindende Sitzung zur Festlegung der EZB-Politik. Im Mittelpunkt steht das Pandemie-Notkaufprogramm (Pandemic Emergency Purchase Program, PEPP). Auch wenn von den 750 Milliarden Euro, die im Rahmen des neuen Programms zum Erwerb von Wertpapieren zur Verfügung stehen, bislang „nur“ 234 Milliarden Euro verwendet wurden, sind die Märkte davon überzeugt, dass das Programm um bis zu 500 Milliarden Euro ausgeweitet werden wird.
Beim derzeitigen Ankaufstempo würde das Programm im Oktober auslaufen, und die nächste EZB-Sitzung findet Anfang Juli statt. Daher besteht eigentlich keine Eile, das Programm jetzt auszuweiten. Verschiedene Mitglieder des EZB-Rates (des geldpolitischen Gremiums) haben jedoch einen solchen Schritt signalisiert, und die Märkte haben dies gebührend zur Kenntnis genommen, sodass die Staatsanleihen Italiens, Spaniens, Portugals und Griechenlands in den vergangenen Tagen einen Kursanstieg und eine deutliche Verringerung ihrer Spreads verzeichneten. Während diese Bewegungen eine Folge verschiedener Faktoren gewesen sein dürften – wobei das von der EU-Kommission vorgeschlagene starke Konjunkturprogramm der wichtigste Faktor war, halfen auch die Erwartungen größerer EZB-Käufe. Sollte die EZB also die Märkte überraschen und das PEPP-Volumen nicht erhöhen, ist eine umgekehrte Bewegung von fallenden Preisen und steigenden Spreads zu erwarten.
Ein weiterer Grund, warum eine Ausweitung des PEPP wahrscheinlich ist, ist die Veröffentlichung der Projektionen der EZB-Mitarbeiter. Dies ist der Kanal, über den die EZB ihre Sicht auf die Zukunft darlegt. Diese Projektionen werden nicht nur eine noch nie dagewesene Verschlechterung gegenüber den letzten, im März veröffentlichten Projektionen zeigen, sondern sehr wahrscheinlich auch, dass sich die Wachstums- und Inflationserwartungen der Zentralbank seit dem letzten Monat, als sie ihr Wirtschaftsbulletin veröffentlichte, ebenfalls verschlechtert haben. Da die Inflationserwartungen auf ein immer niedrigeres Level hindeuten, sind die Voraussetzungen für größere politische Anpassungen gegeben.
Über das PEPP hinaus werden Journalisten sicherlich einige Fragen zum Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts haben, das noch viele Punkte ungeklärt lässt, einschließlich der Frage, ob die EZB direkt auf die Bitte des Bundesverfassungsgerichts um Rechtfertigung seines anderen Hauptprogramms zum Erwerb von Anleihen (das PSPP) reagieren wird oder ob sie dies der Deutschen Bundesbank überlassen wird. Obwohl die rechtlichen Feinheiten des deutschen Verfassungsrechts eindeutig jenseits des Verständnisses der meisten Ökonomen (uns eingeschlossen) liegen, ist dies sicherlich ein Thema, dem man folgen sollte. Eine institutionelle Krise, die die Unabhängigkeit und Flexibilität der EZB einschränkt, ist das Letzte, was eine von der Pandemie betroffene Eurozone braucht.
Matteo Cominetta ist Director am Barings Investment Institute und verantwortlich für die Berichterstattung über wirtschaftliche und politische Entwicklungen in der EU, um mittel- bis langfristige Trends zu identifizieren, die für die Märkte relevant sind. Außerdem ist er für die Veröffentlichung relevanter Forschungsergebnisse für interne und externe Kunden verantwortlich. Der 1762 gegründete Vermögensverwalter Barings ist seit 2005 eine Tochtergesellschaft des US-Lebensversicherers MassMutual.