Value Investing ist nicht tot
Marktkommentar von Georg von Wyss, Mitgründer des Schweizer Fondsverwalters BWM AG. Er meint: Früher oder später werden die Anleger die Gewinnchancen von den vielen, deutlich unterbewerteten Aktien nicht mehr ignorieren können:
Value Investing ist nicht tot. Zwar haben günstig bewertete Titel seit längerem an der Börse einen schweren Stand. Doch das hat es in der Vergangenheit schon öfter gegeben und eröffnet, ebenso wie in früheren Börsenphasen, große Chancen für langfristig orientierte Anleger.
Tatsächlich hat der Value-Stil über die letzten Jahre relativ schlecht abgeschnitten, wohingegen hochkapitalisierte Wachstumswerte, vor allem große US-Technologie-Aktien und als solide geltende Dividendentitel das Rennen machten. Die zunehmende Beliebtheit des passiven Investierens verstärkt diesen Trend zusätzlich. Es scheint fast so, als lohne es nicht mehr, unterbewertete Aktien zu kaufen, in der Erwartung, dass der Markt die Fehlbewertung früher oder später korrigiert. Dem widersprechen wir energisch: Diese Situation ergibt historisch keinen Sinn!
Erkenntnisse der Wissenschaft stützen Value-Segment
Langfristige Vergleichszahlen – beispielsweise von Professor Ken French und Nobelpreisträger Professor Eugene Fama – zeigen, dass Value-Aktien, besonders kleinere, den breiten Markt und auch große, relativ teure Titel langfristig deutlich schlagen. Nimmt man zum Beispiel die sechs Portfolios, die Fama/French auf Basis der Preis/Cashflow-Ratio bilden, so wurden aus 100 US-Dollar, welche 1951 in kleine Value-Titel investiert wurden, nach fast 70 Jahren 3,3 Millionen US-Dollar. Im Vergleich dazu wuchsen dieselben 100 US-Dollar, sofern sie wie der Marktindex von Fama/French investiert wurden (heute: über einen ETF), nur auf 127.000 US-Dollar an.
Die Fama/French-Zahlen zeigen auch, dass es immer schon Phasen gab, in denen der Value-Stil relativ schlecht performte, um am Ende doch seine Chancen auszuspielen. Wir erinnern nur an die Internetspekulationsblase, bei der Value-Investoren so sehr im Hintertreffen lagen, dass etliche Fonds massive Mittelabflüsse hinnehmen mussten. Bis Ende März 2000 die Internetblase platzte und Value-Titel sich wieder als langfristig beste Performer etablierten.
Des Gleichen in den 1970er-Jahren, als die sogenannten „Nifty-Fifty“ – also stolz bewertete Wachstumsaktien – den amerikanischen Markt dominierten, bis die Party im Sommer 1973 endete. Zu dieser Gruppe gehörten Firmen wie Disney, die zwar vorübergehend an Wert verloren, aber bis heute überlebten. Weniger Erfolg hatten Polaroid und Kodak, die ebenfalls dazu gehörten. Das erinnert daran, dass Technologien obsolet werden können – eine Erkenntnis, die heute, wo riesige Technologiefirmen die Börsenstars sind, besonders wichtig ist.
Es ist zugegebenermaßen schwer, in einer Phase großer Underperformance an die langfristige Überlegenheit des Value Investing zu glauben. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass die Fans von teuren Wachstumstiteln tendenziell die Chancen über- und die Risiken unterschätzen. Bei unterbewerten Aktien ist es umgekehrt. Früher oder später werden die Anleger, anstatt kurzfristige Kurseinbußen zu fürchten, die Gewinnchancen von den vielen, deutlich unterbewerteten Aktien nicht mehr ignorieren können. In Anbetracht der tiefen, zum Teil negativen Zinsen, der hohen Immobilienpreise und der teuren Wachstumsaktien sind Value-Aktien vielleicht sogar die einzige Anlage, bei der die Preise noch attraktiv sind.
Georg von Wyss ist Mitgründer des Schweizer Asset Managers BWM AG (Braun, von Wyss & Müller) und Manager der beiden Aktienfonds „Classic Global Equity Fund“ und „Classic Value Equity Fund“. Das 1997 gegründete Unternehmen mit Sitz in Wilen bei Wollerau ist auf Investments im Value-Stil spezialisiert.