Europäische Immobilienunternehmen - Wohnungsunternehmen gehen aufs Ganze
Wohnungsunternehmen in Deutschland nutzen die Gunst der Stunde, um sich über den Kapitalmarkt günstig zu finanzieren. Das könnte zum Problem werden, wenn die Zinsen eines Tages wieder steigen, warnt die Ratingagentur Scope Ratings. Die Kapitalkosten für Wohnimmobilienfirmen sind derzeit niedrig wie nie zuvor: Hatten sie vor dem Beginn der Niedrigzinsphase für Investment Grade Unternehmen noch durchschnittlich 4,5 bis 5,0 Prozent betragen, müssen Firmen am Kapitalmarkt derzeit nur noch 1,5 bis 2,0 Prozent Zinsen zahlen.
„Viele Unternehmen nutzen die Gunst der Stunde, um sich günstig Geld zu besorgen“, beobachtet Philipp Wass, Director Corporates bei Scope Ratings. Um satte 200 Prozent sei das Volumen von Anleihen der Branche europaweit seit dem Jahr 2011 gestiegen. Europäische Immobilienunternehmen haben allein in den vergangenen fünf Jahren 141 Milliarden Euro am Kapitalmarkt eingesammelt, Tendenz steigend, auch in Deutschland. Hier hatten Immobilienunternehmen im Jahr 2011 gerade einmal Anleihen im Volumen von 230 Millionen Euro begeben, im vergangenen Jahr waren es 6,7 Milliarden Euro.
Nachdem auf dem M&A-Markt zuletzt einige Übernahmen von Wohnimmobilien-unternehmen gescheitert sind, konzentrieren sich Firmen aktuell auf den Kauf von Immobilienbeständen. Zudem investieren Wohnungsunternehmen das billige Geld sowohl in Neubau als auch in ihren Bestand und werten ihre Objekte auf. Weil die Werte von Immobilien in Ländern wie Deutschland wegen der starken Nachfrage nach „Betongold“ steigen, können viele Wohnungsunternehmen derzeit zusätzliches Fremdkapital aufnehmen, ohne dass ihr Verschuldungsgrad steigt - zumindest auf den ersten Blick. Das Unternehmen Vonovia etwa hat für das Jahr 2015 ein Rekordergebnis von knapp einer Milliarde Euro eingefahren – größtenteils, weil es den Verkehrswert seiner Immobilien in der Bilanz angehoben hat. „Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, ganz im Gegenteil“, sagt Analyst Wass. „Aus Transparenzgründen ist es gut, wenn die Unternehmen ihre tatsächlichen Werte bilanzieren und keine stillen Reserven anhäufen.“
Aber: Aus Sicht des Analysten sollten die Firmen den aufgrund der niedrigen Zinsen frei werdenden Cashflow jedoch auch verwenden, um die Verbindlichkeiten zu reduzieren. „Gemessen am Cashflow ist die Verschuldung zuletzt sogar leicht gestiegen“, analysiert Wass.
Das könnte sich rächen, wenn die Zeit der Nullzins-Politik zu Ende geht. Und das wird sie eines Tages, auch wenn der Zeitpunkt derzeit noch nicht absehbar ist. „Dann wird die hohe Schuldenlast zum Problem“, sagt Wass. Derzeit liegt die Schuldenquote der Branche mitunter weit über dem 12-fachen des operativen Ergebnisses, der Durchschnitt aller europäischen Immobilienunternehmen liegt beim 8-fachen und damit deutlich niedriger. „Die Wohnungsunternehmen sind deshalb vergleichsweise anfällig für Zinssteigerungen“, warnt Wass. Ein Zinsanstieg von einem Prozent würde bei der derzeitigen Schuldenquote bereits zehn Prozent des operativen Ergebnisses kosten.
Zudem könnten steigende Zinsen die Immobilienpreise drücken, weil andere Anlageklassen attraktiver und Finanzierungen für den Kauf von Immobilien teurer werden. Die Bestände der Wohnimmobilienfirnem würden dann im Wert sinken. So würde die Schuldenquote ansteigen – was sich negativ auf die Bonität auswirken könnte und die Kapitalkosten weiter ansteigen lassen würde. „In einem solchen Umfeld wird es für Wohnungsunternehmen deutlich schwieriger sein, ihre Schulden zu senken“, warnt Wass. „Deshalb sollten sie rechtzeitig umschwenken.“
Quelle: Homepage Scope Ratings
Die 2002 gegründete Scope-Unternehmensgruppe ist eine bankenunabhängige Ratingagentur mit Sitz in Berlin. Sie ist auf das Rating von Unternehmen, Anleihen, Fonds und Zertifikaten spezialisiert. (AZ)