Kommentar: Stagflation durch Fehlallokation von Kapital
„Wir erleben derzeit den Übergang vom „Volcker'schen“ Shareholder-Regime hin zu einem neuen, stärker Inflations-orientierten Regime. Und dieser Übergang stellt Investoren vor neue Herausforderungen. Sie müssen sich mit zwei Formen der Inflation auseinandersetzen, und zwar der Inflation der Vermögenswerte im Laufe der letzten drei Jahrzehnte und, ganz aktuell, der Inflation der Preise für Waren und Dienstleistungen“, so heißt es in einer Einschätzung des Asset Managers Amundi.
Unterinvestitionen in die Old Economy hätten, wenn auch mit Verzögerung, die Rückkehr der Inflation angeheizt, während Überinvestitionen in einigen Bereichen der so genannten „New Economy“ bestimmte Sektoren finanziell aufgebläht hätten – so geschehen in der Internetblase 1999 und im Technologie-Hype zwischen 2015 und 2021. Der Grund dafür sei in einer Kombination aus der Forderung nach hohen Eigenkapitalrenditen und niedrigen Kapitalkosten zu suchen. Der Renditehunger stand echten Investitionen in den meisten Sektoren im Weg, während die künstlich niedrigen Kapitalkosten infolge einer zu laxen Geldpolitik wie ein enormer „Diskontsatzeffekt“ auf die Kapitalallokation wirkten. Das führte zu einer unangemessenen Bevorzugung bestimmter Waren und Dienstleistungen und der damit verbundenen Vermögenswerte, etwa des Technologiesektors, aber wohl auch des Wohnungsbaus, auf Kosten anderer. In naher Zukunft könnten noch stärkere Überinvestitionen in Sektoren der „New Economy“ gesehen werden als bisher, doch unter Umständen seien einige dieser Technologiephantasien auf brüchigem Fundament gebaut. Das Schicksal der gesamten Wirtschaft hänge von der Old Economy ab.
Das Hauptrisiko des neuen Regimes sei eine Kombination aus weniger Wachstum oder sogar Rezession und mehr Inflation, also Stagflation, so wie die Gefahr der Deflation das vorherige Regime kennzeichnete. Anleger sollten bedenken, dass die derzeit hohen Vermögenspreise nachgeben können. Im Gegenzug verspreche die internationale Diversifizierung größere Vorteile als bisher, weil die weltweite Synchronisierung der makroökonomischen und geldpolitischen Zyklen sich verlangsame. Neben dem Stagflationsrisiko werde der finanzielle Druck auf den Westen zunehmen, da weniger Finanzkapital aus dem Ausland zur Verfügung stehen werde. Das neue, stärker an der Inflation orientierte Regime, das durch geringere Renditen auf Vermögenswerte und höhere Renditen auf das Kapital gekennzeichnet ist, werde auch mit einer Neugewichtung der relativen Anteile von Kapital und Arbeit einhergehen.
Es bleibe abzuwarten, ob zuerst die Vermögensblase platzt oder der Inflationszyklus sich verlängert. Eine platzende Vermögensblase könne den Inflationszyklus der Realwirtschaft stoppen und sogar umkehren. Andererseits könne die Inflation auch die Blase noch verlängern. Am wahrscheinlichsten dürfte sein, dass Inflationszyklus und das Platzen der aufgeblähten Vermögenspreise zusammenfallen. Die Inflationsdynamik werde von der Angebotsseite angetrieben – das Platzen einer Blase, die sich auf einen begrenzten Bereich der Weltwirtschaft beschränkt, wird sie nicht ausbremsen können. Das zentrale Risiko sei damit Stagflation. (DFPA/mb1)
Amundi ist eine börsennotierte Fondsgesellschaft mit Sitz in Paris. Das Unternehmen, das 2010 aus der Zusammenführung der Asset-Management-Aktivitäten der französischen Bankengruppen Crédit Agricole und Société Générale hervorgegangen ist, beschäftigt 5.300 Mitarbeiter und verwaltet ein Vermögen von mehr als zwei Billionen Euro.