Marktkommentar: Healthcare – eine Chance für Antizykliker
Für Healthcare-Anleger verlief das Börsenjahr 2023 bisher enttäuschend. So liegt der MSCI World Healthcare Index, der maßgebliche Aktienindex für die Branche, nur knapp über dem Kursniveau vom Jahresanfang. Im Vergleich dazu liegt der S&P 500 mit 17 Prozent im Plus. Diese Entwicklung ist zwar zu einem großen Teil auf die Top-Performance von sieben Tech-Giganten zurückzuführen. Unbestritten ist aber, dass die meisten Investoren bei Healthcare-Unternehmen derzeit an der Seitenlinie stehen, so merkt Dr. Cyrill Zimmermann, Head Healthcare Funds & Mandates der Asset-Management-Boutique Bellevue Asset Management, in einem Marktkommentar an.
Laut seiner Einschätzung gibt es zwei Gründe für diese Entwicklung: Die mit der hohen Inflation einhergehenden Zinserhöhungen wirken sich vor allem auf die Bewertungen von Unternehmen aus, die noch keine Erträge erwirtschaften und auf Fremdkapital angewiesen sind. Betroffen seien vor allem Biotechunternehmen und Firmen, die technologische Anwendungen für die digitale Gesundheit entwickeln, zum Beispiel Sensoren oder Messgeräte. Der zweite Grund sei psychologischer Natur. Der große Durchbruch bei den Impfstoffen gegen Covid-19 habe in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür geschärft, dass Biotechunternehmen mit neuen Therapien eine Schlüsselrolle bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme spielen können. Die Kehrseite der Medaille sei, dass sich mit der Überwindung der Corona-Pandemie ein Großteil der Investoren aus dem Sektor zurückzog.
Die meisten neuen Therapieansätze richteten sich gegen Volkskrankheiten, die weltweit auf dem Vormarsch sind. Diabetes stelle dabei angesichts explodierender Gesundheitskosten eine immense volkswirtschaftliche Herausforderung dar. Weltweit gibt es 500 Millionen Diabetiker, nicht nur in den westlichen Industrienationen, sondern zunehmend auch in Schwellenländern wie China, Indien oder auch Saudi-Arabien, wo jeder Dritte erwachsene Saudi an Diabetes leidet. 1.000 Milliarden US-Dollar, das sind rund zehn Prozent der jährlichen Gesundheitsausgaben weltweit, werden für die Behandlung von Diabetes aufgewendet. Alarmierend sei der Anstieg der wirtschaftlichen Belastung von über 300 Prozent in den vergangenen 15 Jahren. Insbesondere Fettleibigkeit sei eine der Hauptursachen für Diabetes. Während in den USA 1980 noch 13 Prozent der Bevölkerung einen Body-Mass-Index von über 30 aufwiesen, sind es 2020 bereits 42 Prozent. Auf der Medikamentenseite werde derzeit eine spannende Situation gesehen. Allen voran Novo Nordisk und Eli Lilly hätten Medikamente entwickelt, die – vereinfacht gesagt – den Hunger unterdrücken und so eine Gewichtsreduktion von 15 Prozent bis 20 Prozent in wenigen Monaten ermöglichten. Das Marktpotenzial sei entsprechend groß – 2030 werde ein weltweiter Umsatz von 44 Milliarden US-Dollar erwartet. Das zweite bedeutende globale Krankheitsfeld sei die Krebsmedizin. Weltweit gebe es 20 Millionen neue Krebsfälle pro Jahr. 200 Milliarden US-Dollar der Gesundheitskosten werden allein in den USA jährlich durch Krebs verursacht.
Die dritte große Herausforderung sei die Zunahme neurodegenerativer Erkrankungen als Folge der zunehmenden Alterung der Weltbevölkerung. Alzheimer, die mit Abstand häufigste Form der Demenz, sei an erster Stelle zu nennen. Nach jahrzehntelangen klinischen Fehlschlägen wurde mit Leqembi von Biogen/Eisai Anfang Juli ein Medikament zugelassen, das direkt in den Krankheitsverlauf eingreife und das Fortschreiten der Krankheit verlangsame. So verzögere es das Fortschreiten der Demenz um drei Jahre und verlangsame den kognitiven Abbau um 27 Prozent. Ein konkurrierendes Medikament von Eli Lilly werde derzeit ebenfalls geprüft. Diese ersten Etappensiege werden laut Kommentar dazu führen, dass die weltweiten Investitionen in die Alzheimerforschung in den nächsten Jahren weiter steigen werden. (DFPA/mb1)
Die Bellevue Group ist eine unabhängige, auf Asset Management fokussierte Schweizer Finanzgesellschaft. Gegründet 1993 beschäftigt die Bellevue Group rund 100 Mitarbeiter.