Zinskommentar von Neuwirth Finance: "The German Angst"
Trotz anhaltender Kritik deutscher Führungskräfte aus der Finanzwirtschaft beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) am 7. September unter der Führung von Mario Draghi keine neue geldpolitische Maßnahme. Das Anleihekaufprogramm mit monatlichen Ankäufen von 60 Milliarden Dollar wird bis Ende 2017 fortgeführt. In seinem Zinskommentar erläutert Kurt Neuwirth, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft Neuwirth Finance, warum besonders in Deutschland die Forderungen nach einer Zinswende immer lauter werden, und weshalb die EZB an ihrem derzeitigen Kurs bis Ende 2017 festhalten wird.
„Zum einen wird die Aufwertung des Euros gegenüber dem Dollar als Risikofaktor betrachtet, da Importe billiger werden, und die Inflationsdynamik gebremst werden könnte. Der Wechselkurs stieg seit Jahresbeginn um über 14 Prozent auf nun 1,20 US-Dollar. Die EZB betonte, der Wechselkurs sei zwar keine Zielvariable, aber sehr wichtig für Wachstum und Inflation. Zudem wird sie wenig gegen steuern können, da die Zinsen schon bei null sind. Die derzeit starken Exporte könnten in Mitleidenschaft gezogen werden, doch eine dortige Reaktion wird erst später festzustellen sein.
Auf die Frage eines Reporters, warum die EZB trotz solider Wachstumszahlen nicht endlich die Zinsen anhebt und der lockeren Geldpolitik ein Ende setzt, umschrieb der EZB-Präsident diesen Sachverhalt bewusst mit dem deutschen Ausdruck „Angst“. Denn wenige Tage zuvor forderten in einem Artikel des Handelsblatts der CEO der Deutschen Bank und der Präsident der Bundesbank eine sofortige Zinswende. So sei es schon zu großen Verwerfungen am Kapitalmarkt gekommen. Mario Draghi hingehen sieht keine großartigen Fehlbewertungen, weder am Aktienmarkt noch am Anleihemarkt. Lediglich am Gewerbeimmobilienmarkt sieht der EZB-Präsident Verwerfungen, doch die Preisentwicklung ist nicht überall gleich und somit schwer auf die Niedrigzinspolitik zurückzuführen.
Das Problem der Deutschen ist die zu subjektive Sicht auf den Sachverhalt. Die Eurozone ist nicht Deutschland und Deutschland ist nicht die Eurozone. In Deutschland gibt es durchaus Argumente für eine Zinserhöhung bzw. Straffung der Geldpolitik, aber nicht in Italien oder Spanien. Die EZB agiert auf der Grundlage von Durchschnittswerten, und die Inflation in der Eurozone betrug im August eben nur 1,5 Prozent. Wir sprachen schon oft über das Problem der Divergenzen in der Eurozone, doch sie sind da und werden aufgrund der strukturellen Schwächen einiger Euroländer nicht sofort verschwinden. Die wichtigsten EZB-Funktionäre werden im Oktober wieder zusammenkommen und ein weiteres Mal über zukünftige Schritte debattieren. Bis dahin heißt es ,Füße stillhalten‘“, so Neuwirth.
Quelle: Zinskommentar Neuwirth Finance
Die Neuwirth Finance GmbH wurde 2001 gegründet und ist ein unabhängiges Beratungshaus. Die Kernkompetenz der Gesellschaft mit Sitz in Starnberg liegt im Bereich der flexiblen Immobilienfinanzierung. (JF1)