Aufsichtsrecht versus zivilrechtliche Haftung

Oliver Renner

Executive Summary:

Seit der Finanzmarktkrise im Jahr 2008 erfolgten zahlreiche aufsichtsrechtliche Vorgaben, die Finanzmarktintermediäre einzuhalten haben. Es besteht hier eine für den Laien kaum mehr überschaubare Regelungsdichte. Dies hat gleichzeitig aber auch zur Folge, dass manche Berater/Vermittler hieraus den Schluss ziehen, wenn sie das Aufsichtsrecht einhalten, dann droht ihnen keine zivilrechtliche Haftung. Ein Trugschluss. Nur weil das Auto einen TÜV hat und der Fahrer einen Führerschein heiß dies nicht, dass man bei einem Verkehrsunfall nicht haftet. Das gleiche gilt auch umgekehrt. Nur weil man keinen Führerschein hat oder das Auto keinen TÜV haftet man nicht zwangsläufig bei einem Unfall. Das Aufsichtsrecht (TÜV und Führerschein) und die Haftung bei einem Verkehrsunfall haben unterschiedliche Grundlagen und Zielsetzungen. Ähnlich ist es bei bspw. bei der Kapitalanlageberatung. Wie im Straßenverkehr gilt auch hier: Aufsichtsrecht sollte in jedem Fall eingehalten werden. Um eine zivilrechtliche Haftung auf Schadensersatz zu vermeiden, müssen daneben aber auch die dahingehenden Pflichten beachtet werden. Diese sind teilweise deckungsgleich wie die aufsichtsrechtlichen Vorgaben. Das zivilrechtliche Pflichtenprogramm geht aber weiter. Ggf. empfiehlt es sich daher, auch überobligationsmäße Risikohinweise zu erteilen, um eine zivilrechtliche Haftung zu vermeiden.

Keynote

Als Keynote wird - den nachfolgenden Detailbeiträgen zu konkreten Fragestellungen und Problemfeldern - das Verhältnis zwischen dem Aufsichtsrecht im Kapitalmarktrecht und der zivilrechtlichen Haftung dargestellt.

Ziel ist es, den LeserInnen die unterschiedliche Zielsetzung begreiflich zu machen und mit herrschenden Fehlvorstellungen aufzuräumen. Nur damit gelingt eine sowohl aufsichtsrechtlich als auch haftungsrechtlich sichere Beratung.

Einleitung

Der Kapitalanleger ist anleger- und anlagegerecht zu beraten. An sich eine Selbstverständlichkeit, die der Bundesgerichtshof in seiner Bond Entscheidung aus dem Jahr 1993 erstmals auf den Punkt zusammengefasst hat: „Eine Bank hat bei der Anlageberatung den - gegebenenfalls zu erfragenden - Wissensstand des Kunden über Anlagegeschäfte der vorgesehenen Art und dessen Risikobereitschaft zu berücksichtigen ("anlegergerechte" Beratung); das von ihr danach empfohlene Anlageobjekt muß diesen Kriterien Rechnung tragen ("objektgerechte" Beratung). Eine Bank, die ausländische Wertpapiere in ihr Anlageprogramm aufgenommen hat, muß diese Papiere, die sie ihren Kunden als Anlage empfiehlt, einer eigenen Prüfung unterziehen; sie darf sich nicht auf eine Börsenzulassung verlassen und sich damit begnügen, den Inhalt eines Zulassungsprospekts zur Kenntnis zu nehmen.“ (BGH, Urteil vom 6. Juli 1993 – XI ZR 12/93 –).

Aufsichtsrechtliche Vorgaben in Bezug auf Emittenten und den Kapitalmarkt waren rar gesät. So gab es seinerzeit noch den sogenannten „grauen Kapitalmarkt“ und den freien Vermittler/Berater, der ohne Zulassung - teilweise unseriös als Strukturvertrieb – Produkte ohne Zulassungsauflagen und inhaltliche Vorgaben zum Beratungsvorgang Kapitalmarktprodukte vermitteln/beraten konnte.

Dies hat sich durch die Finanzmarktkrisen erheblich verändert. Seit der Finanzmarktkrise 2008 erfolgte eine immer zunehmender Kapitalmarktregulierung durch aufsichtsrechtliche Vorgaben an die Finanzmarktintermediäre. Aufsichtsrechtliche Regelungen können hierbei zwei Ziele verfolgen: Zum einen soll die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts allokativ, institutionell und operational sichergestellt werden. Zum anderen soll ein höherer Anlegerschutz erreicht werden im Sinne eines Individualschutzes des Anlegers. Im Mittelpunkt steht hierbei die Informationspflicht, um die Informationsasymmetrie auszugleichen.

Gab es vor 30 Jahren kaum aufsichtsrechtliche Vorgaben müssen heute beginnend mit der Zulassung, weiter über Pflichtangaben bei Kundenkontakt und Beratungsdokumentation sowie deren Aufzeichnung (Taping) bis hin zur Aufbewahrung eine Fülle von formalen Regelungen beachtet werden, um – aufsichtsrechtlich sicher – beraten zu können.

Dies führt dazu, dass sich manche Berater/Vermittler auf dem Schoß des Aufsichtsrecht meinen, ausruhen zu können. Wenn ich die aufsichtsrechtlichen Vorgaben erfülle, dann droht mir keine zivilrechtliche Haftung auf Schadensersatz bestehe dann nicht. Ein Trugschluss, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung.

Missachtung von Aufsichtsrecht

Allein der Umstand, dass aufsichtsrechtliche Vorgaben nicht beachtet worden sind, begründet per se nicht auch eine zivilrechtliche Haftung gegenüber dem Anleger auf Schadensersatz.

Fehlende Erlaubnis nach der GewO

So begründet nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.07.2020 – AZ.: VI ZR 208/19 -) beispielsweise allein die fehlende Erlaubnis nach der Gewerbeordnung – jedenfalls für Altfälle – nicht per se Schadensersatzansprüche zu Gunsten des Anlegers. Der Umstand, dass ein Berater zum Zeitpunkt der Zeichnung einer Kapitalanlage über keine notwendige Erlaubnis nach § 34c Gewerbeordnung (i.F. GewO; in der Fassung des Gesetzes vom 19.12.2006, BGBl. I, S. 3232) verfügte begründet nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 14.07.2020 – Aktenzeichen: VI ZR 208/19) allein keinen Schadensersatzanspruch gegen den Berater.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Anleger beteiligte sich nach vorausgegangener Beratung am 27.08.2007 an einem Patentfonds. Der Berater verfügte über eine hierfür notwendige Erlaubnis nach § 34c GewO nicht.

Der Anleger machte unter anderem geltend, dass er nicht ausreichend über die Risiken sowie Weichkosten aufgeklärt worden sei.

Das Landgericht Hannover (Urteil vom 30.08.2018 – 8 O 104/17) hat die Klage abgewiesen und das Oberlandesgericht Celle (Urteil vom 02.05.2019 – 11 U 120/18) die Berufung des Anlegers zurückgewiesen.

In der Revision machte der Anleger sodann vor dem Bundesgerichtshof „nur“ noch geltend, dass ihm ein Anspruch gegen den Berater zustehe. Die Erlaubnis nach § 34c GewO sei ein Schutzgesetz zu Gunsten der Anleger und daher stünde ihm ein sogenannter deliktischer Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (i.F. BGB) zu.

Wie hat der Bundesgerichtshof hierüber entschieden?

Der Bundesgerichtshof hat auch diesen Anspruch nicht als begründet angesehen und mit Urteil vom 14.07.2020 – Aktenzeichen: VI ZR 208/19 – die Revision des Anlegers zurückgewiesen.

In seiner Entscheidung unterstellte der Bundesgerichtshof zunächst, dass des sich um eine gewerbsmäßige Vermittlungs- und Nachweistätigkeit handelte und der Berater dafür nach § 34c GewO einer Erlaubnis bedurfte.  

Ob § 34c GewO ein Schutzgesetz ist hat der Bundesgerichtshof offengelassen. Im konkreten Streitfall jedenfalls liege der geltend gemachte Schaden außerhalb des Schutzzwecks der Norm. Begründet hat dies der Bundesgerichtshof damit, dass die Erteilung der Erlaubnis davon abhängt, dass der Berater die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt und nicht in ungeordneten Vermögensverhältnissen lebt. Daraus folgt der Bundesgerichtshof, dass §34c GewO nur den Schutz vor Vermögensschaden beinhaltet, die durch die Tätigkeit von unzuverlässigen und/oder in ungeordneten Vermögensverhältnis lebenden, also „unseriösen“ Vermittlern oder Nachweismaklern verursacht werden.

Der Anleger verlangte Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung zur Kapitalanlage. Nicht geltend gemacht wurde jedoch, dass der Schaden im Zusammenhang mit den Prüfungsgegenständen des Erlaubnisverfahrens nach § 34c GewO steht, also mit den Vermögensverhältnissen des Beraters und/oder dessen Zuverlässigkeit im gewerberechtlichen Sinn. Daher – so der Bundesgerichtshof – fehlt es am notwendigen Zusammenhang zwischen konkretem Schaden und dem sachlichen Schutzzweck des § 34c GewO.

Als Fazit kann hierzu festgehalten werden:

Für Altfälle unter Regime des § 34c GewO alte Fassung können jedenfalls Berater aufatmen, wenn zu notwendigen Schutzzweck konkret nichts vorgetragen wird.

Ob der Bundesgerichtshof diese Rechtsprechung allerdings auch auf Neufälle anwendet, wenn bspw. der Fachkundenachweis oder eine Vermögensschadenshaftpflichtversicherung im Rahmen der Erlaubnis gewerberechtlich erforderlich ist, ist fraglich. Das Risiko, dass hier der Bundesgerichtshof den Schutzzweckzusammenhang bejaht ist hoch, da es sich hier – anders als bei der Beurteilung der „Seriosität“ um objektive Kriterien handelt, bei denen ein Anleger sich ggf. darauf verlassen kann, dass diese vorliegen. Hier könnte argumentiert werden, dass ein Anleger davon ausgehen darf, dass sein Berater die objektiven Voraussetzungen für eine Erlaubnis erfüllt.

Bei Neufällen sollte also unbedingt das Aufsichtsrecht beachtet und eingehalten werden um eine Haftung allein begründet hierauf zu vermeiden.

Keine Beratungsdokumentation

Auch der Umstand, dass dem Anleger – wie aufsichtsrechtlich vorgegeben – keine Abschrift der Beratungsdokumentation ausgehändigt worden ist, begründet per se keine Haftung des Beraters gerichtet auf Schadensersatz: „Der klägerische Vorwurf, die Beklagte zu 1) habe ihm entgegen § 18 Abs. 1 S. 2 FinVermV keine Abschrift des Finanzanlageberatungsprotokolls überlassen, geht ins Leere. Es ist schon nicht ersichtlich, inwiefern eine solche Pflichtverletzung -so sie denn überhaupt vorliegt – für die Anlageentscheidung des Klägers von Relevanz gewesen sein könnte“, so das Landgericht Köln in seinem Urteil vom 12.01.2017 (Landgericht Köln, Urteil 12.01.2017 – 30 O 197/15 –).

Dies sollte allerdings nicht als Aufforderung verstanden werden, keine Beratungsdokumentation zu erstellen. In der gerichtlichen Auseinandersetzung kann dies für den Berater zu erheblichen Beweisschwierigkeiten führen. So führt die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht nach § 61 VVG zu einer Umkehr der Beweislast: „Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers nach § 61 Abs. 1 Satz 2, § 62 VVG kann zu Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr führen. Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist.“ (BGH, Urteil vom 13.11.2014 – III ZR 544/13 -).

Auch sollte inhaltlich darauf geachtet werden, dass die Beratungsdokumentation vollständig und richtig ist. Im Bereich des Wertpapierhandelsgesetzes führ die Nichtbeachtung der Dokumentationsvorgaben zwar nicht zu einer Beweislastumkehr. Dies hat der Bundesgerichtshof im Jahr 2012 (BGH, Urteil vom 27.11.2012 – XI ZR 384/11 -) im Zusammenhang mit der Haftung wegen Falschberatung bei Zeichnung von Lehman Brothers Zertifikaten entschieden: „Dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern, zumal sich eine Beweislastumkehr oder Beweiserleichterungen nicht aus einer Verletzung von Dokumentationsobliegenheiten ergaben, die bei Abschluss des Geschäfts im Februar 2007 nicht bestanden.“

Dies gilt wohl auch für die Wertpapierberatung nach 2007 unter dem Regime des § 34 Abs. 2a WpHG. Bestrebungen des Bundesrates zur Normierung einer Beweislastumkehr im Gesetzgebungsverfahren zum Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetzes sind erfolglos geblieben (vgl. hierzu BR-Drucks. 584/10 (Beschluss), S. 10 und BGBl. 2011, I S. 538).

Ist aber im Beratungsprotokoll positiv ein Beratungsfehler ersichtlich (bspw. unzutreffende Angabe der Höhe der Rückvergütung), kann dies ein Indiz für einen Beratungsfehler darstellen (vgl. hierzu: Grüneberg, Die Bankenhaftung bei Kapitalanlagen, 2017, Rn. 337).

Unterzeichnet der Bankkunde dagegen einen zutreffend ausgefüllten Beratungsbogen und bestätigt er nicht nur dessen Empfang, muss sich dies der Kunde nach den allgemeinen Grundsätzen des § 416 ZPO gegen sich gelten lassen (vgl. hierzu: MüKoHGB/Nobbe/Zahrte, Anlageberatung, Rn. 115).

Dies hat das Brandenburgische Oberlandesgericht mit Urteil vom 02.11.2017 (AZ.:– 12 U 241/16 –) bestätigt. Da der Anleger für das Vorliegen eines Beratungsfehlers die Darlegungs- und Beweislast trägt, muss er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er eine sichere Geldanlage zur Altersvorsorge gewünscht habe und deshalb die Empfehlung einer Beteiligung in einem Schiffsfonds wegen des damit verbundenen unternehmerischen Risikos nicht seinen Anlagezielen entsprach. Steht hierbei die Echtheit der Unterschrift des Anlegers unter einem Kundenprofil nicht in Frage, wird gem. § 440 Abs. 2 ZPO die Übereinstimmung des Urkundentextes mit dem Willen des Ausstellers vermutet, so dass Inhaltsmängel wie eine nachträgliche Manipulation von dem Anleger zu beweisen sind.

Welche Beratungsdokumentation?

Andererseits verhindert das Einhalten der formalen Voraussetzungen der Beratungsdokumentation nicht eine zivilrechtliche Haftung. Dies wird deutlich beim Vertrieb von fondsgebundenen Lebensversicherungen. Aufsichtsrechtlich sind hier – da es sich um ein Versicherungsprodukt handelt – bzgl. der Dokumentation der Beratung die Vorgaben des § 61 VVG zu beachten und zu erfüllen.

Wenn es aber um die inhaltliche Beratung des Kunden geht, so müssen im Einzelfall ggf. die materiell-rechtlichen Vorgaben der anleger- und anlagegerechten Beratung wie bei einem Kapitalanleger beachtet werden. Grund hierfür ist, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung fondsgebundene Lebensversicherungen, obgleich diese formal Versicherungsprodukte sind, inhaltlich als Kapitalanlage bei der Beratung behandelt werden. Dies ist dann der Fall, wenn nicht die Versicherungsleistung (bspw. Absicherung im Todesfall), sondern die Rendite im Vordergrund steht: „Stellt sich der Abschluss einer kapitalbildenden Lebensversicherung bei wirtschaftlicher Betrachtung als Anlagegeschäft dar, so ist der Versicherer entsprechend den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Aufklärung bei Anlagegeschäften verpflichtet, den Beklagten bereits im Rahmen der Vertragsverhandlungen über alle Umstände verständlich und vollständig zu informieren, die für seinen Anlageentschluss von besonderer Bedeutung sind“, so das OLG Dresden (Urteil vom 03.07.2018 – 4 U 1189/17 –). Der Bundesgerichtshof hat die unlängst bestätigt: „In der Rechtsprechung des Senats ist auch in anderem Zusammenhang anerkannt, dass Lebensversicherungsverträge bei wirtschaftlicher Betrachtung im Einzelfall als Anlagegeschäfte angesehen werden können. …. Ebenso hat der Senat bereits ausgeführt, dass die mit Gewinnchancen, aber auch mit Verlustrisiken verbundene Kapitalanlage neben der Risikoabsicherung ein wesentlicher Gesichtspunkt für den Versicherungsnehmer ist, wenn er sich für eine fondsgebundene Lebensversicherung entscheidet.“ (BGH, Versäumnisurteil vom 10.04.2019 - IV ZR 59/17).

Aufsichtsrechtlich ist mithin § 61 VVG zu beachten. Beim Beratungsvorgang selbst zudem die Grundsätze der anleger- und anlagegerechten Beratung. Hier genügt die bloße Beachtung des Aufsichtsrechts ggf. nicht, wenn es um die Haftung wegen fehlerhafter Anlageberatung geht.

Plausibilitätsprüfung

Auch die vom Anlageberater/-vermittler geschuldete Pflicht zur Plausibilitätsprüfung der Kapitalanlage geht weiter als die aufsichtsrechtlichen Vorgaben. Der Bundesgerichtshof hatte einen Treuhänder eines geschlossenen Fonds wegen unzureichender Plausibilitätsprüfung des Prospekts zum Schadensersatz gegenüber dem Anleger verurteilt (BGH, Urteil vom 16.03.2017 – XI ZR 489/16 -). Perfide an diesem Fall war, dass die BaFin nach deren Prüfung, den Prospekt zum Vertrieb freigegeben hat. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass der Prospekt offensichtlich widersprüchlich war. Wieso konnte die BaFin diesen Prospekt dann trotzdem billigen? Die BaFin hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt noch nicht die Kompetenz, den Prospekt auf inhaltliche Kohärenz zu prüfen. Diese Kompetenz zur inhaltlichen Kohärenzprüfung besteht erst seit dem 01.06.2012 (§ 8 Abs. 1 Vermögensanlagengesetz). Demgegenüber war der Berater/Vermittler im Rahmen des mit dem Anleger geschlossenen Vertrages zur Plausibilitätsprüfung verpflichtet. Die Plausibilitätsprüfungspflicht (bspw. auch in Bezug auf die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Kapitalanlage) geht mithin weiter als aufsichtsrechtliche Vorgaben. Das bloße Einhalten von Aufsichtsrecht schließt hier eine zivilrechtliche Haftung nicht aus.

Fazit

Das Aufsichtsrecht regelt öffentlich-rechtlich im Über/-Unterordnungsverhältnis die Beziehung zwischen dem Finanzmarktintermediär (bspw. dem Berater, Emittenten) und der Aufsichtsbehörde. Bei Verstößen hiergegen können Auflagen und Bußgelder verhängt werden.

Das Zivilrecht und deren Haftungsfolgen regelt das Verhältnis zwischen Anleger und dem Finanzmarktintermediär. Grundlage hierbei ist in der Regel ein Vertrag. Der Bundesgerichtshof hat hierbei zwar entschieden, dass der Anleger nicht erwarten kann, dass sich der Berater an seine öffentlich-rechtlichen Pflichten des Aufsichtsrecht hält: „Der Anleger kann zwar nicht erwarten, dass sich die beratende Bank im gesamten Umfang ihrer öffentlich-rechtlichen Pflichten ohne Weiteres auch im individuellen Schuldverhältnis gegenüber dem jeweiligen Anleger verpflichten will. Er kann aber voraussetzen, dass die beratende Bank die tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts beachtet.“ (BGH, Urteil vom 03.06.2014 – XI ZR 147/12 –).

Unklar ist hierbei noch, was zu den tragenden Grundprinzipien des Aufsichtsrechts zählt. Für Zuwendungen hat dies der Bundesgerichtshof entschieden. Diese sind gegenüber dem Anleger offenzulegen: „Das aufsichtsrechtliche Prinzip, dass Zuwendungen Dritter grundsätzlich verboten und allenfalls dann erlaubt sind, wenn diese offen gelegt werden, ist daher als Ausdruck eines allgemeinen - nunmehr nahezu flächendeckenden - Rechtsprinzips bei der Auslegung der (konkludenten) Vertragserklärungen zu berücksichtigen.“ (BGH, Urteil vom 03.06.2014 – XI ZR 147/12 –).

Welche weiteren aufsichtsrechtlichen Vorgaben einzuhalten sind, um keiner zivilrechtlichen Haftung ausgesetzt zu sein, muss von der Rechtsprechung noch konkretisiert werden. Erst jüngst hat hierbei das Landgericht Flensburg das Pflichtenprogramm der Finanzanlagenvermittlerverordnung als vertraglich bindend qualifiziert (LG Flensburg, Urteil vom 04.02.2022 – 3 O 180/20 -).

Das Landgericht Flensburg hat mit Urteil vom 04.02.2022 – Aktenzeichen: 3 O 180/20 – einem Anleger gegen seinen Anlageberater Schadensersatz in Höhe von rund € 30.000,00 zugesprochen. Der Anleger hatte auf Empfehlung des Beraters eine Sachwertanlage gezeichnet, konkret eine Direktanlage in P&R Container.

Da der Berater unstreitig den Anleger weder über das Totalverlustrisiko informierte noch darüber aufklärte, dass das Vermögen des Anlegers über den investierten Betrag hinaus gefährdet sein kann, hat das Landgericht eine Pflichtverletzung angenommen.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird jedenfalls eine Aufklärung über das Totalverlustrisiko bei Investitionen in P&R Container verneint (so z.B. etwa OLG Oldenburg, Beschluss vom 28.07.2020 - 8 U 240/19; OLG München, Beschluss vom 13.07.2020 - 8 U 2610/20; OLG Stuttgart, Urteil vom 13.08.2020 - 2 U 564/19, OLG Bremen, Urteil vom 21.07.2021 - 1 U 4/21). Dem folgt das Landgericht Flensburg nicht.

Begründet hat das Landgericht Flensburg seine Entscheidung damit, dass die Aufklärung des Anlegers nach dem Pflichtenprogramm der Finanzanlagenvermittlerverordnung (konkret in der Fassung des 08.09.2015) zu erfolgen habe. Ein Beratungsvertrag verpflichtet den Berater/Vermittler zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen tatsächlichen Umstände, die für den Anlageentschluss des Interessenten von Bedeutung sind (so schon: BGH, Urteil vom 30.10.2014 – III ZR 493/13 -). „Insoweit kann das Pflichtenprogramm nach den §§ 11 ff. Finanzanlagenvermittlungsverordnung (idF vom 08.09.2015) herangezogen werden. Danach hat der Anlagevermittler u.a. über die mit der Kapitalanlage verbundenen Risiken, insbesondere das Risiko des Verlustes der gesamten Kapitalanlage (§ 13 Abs. 2 S.2 Nr. 1 FinVermV), sowie über die Möglichkeit, dass dem Anleger aus den Geschäften weitere Kosten und Steuern entstehen können (§ 13 Abs. 3 Nr. 2 FinVermV), zu informieren. Der Anlagevermittler ist zudem verpflichtet, das Anlagekonzept und den Prospekt auf wirtschaftliche Plausibilität zu prüfen; unterlässt er dies, muss er darauf hinweisen.“, so das Landgericht Flensburg in seinem Urteil.

Als Fazit kann mithin festgehalten werden, dass in jedem Fall die Vorgaben der Finanzanlagenvermittlerverordnung – damit das Aufsichtsrecht - einzuhalten sind und ggf. überobligationsmäßige Hinweise erteilt werden sollten. Damit kann eine Haftung vermieden, jedenfalls das Haftungsrisiko reduziert werden.

Dieser Artikel von Rechtsanwalt Oliver Renner von der Kanzlei Wüterich Breucker Rechtsanwälte Partnerschaft mbH erschien in Rahmen von „PROBERATER 2022“.

www.wueterich-breucker.de

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Dr. Hendrik Müller-Lankow
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