Regulatorik gefährdet führende Rolle Deutschlands
In ENI EXXECNEWS INSTITUTIONAL nimmt der Präsidenten des deutschen Wasserstoffverbandes DWV, Dr. Oliver Weinmann, zur aktuellen Lage Stellung. Das Gespräch führte unser Themenspezialist Sven Jösting.
ENI: Dr. Weinmann, Sie wurden gerade wieder für zwei Jahre im Amt des Präsidenten des Deutschen Wasserstoffverbandes DWV bestätigt und engagieren sich als stellvertretender Vorsitzender der Wasserstoffgesellschaft Hamburg e.V. Welche Motivation und Ziele bewegt Sie zu diesen Ämtern?
Dr. Oliver Weinmann: Die Energiewirtschaft befindet sich in einer außerordentlichen Umbruchphase. Den Verbrauch fossiler Energieträger müssen wir schnellstmöglich massiv reduzieren, Wirtschaft und Gesellschaft haben sich in den letzten Jahrzehnten zu lange auf billiges Gas, Erdöl und Kohle verlassen. Durch den Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, haben wir schmerzhaft erkennen müssen, dass diese Versorgung nicht auf einer soliden und nachhaltigen Basis steht. Und als weitaus größere und dauerhafte Herausforderung bleibt die Reduzierung der CO2-Emissionen zur Bekämpfung des Klimawandels. Grüner Wasserstoff, hergestellt aus Erneuerbaren Energien, wird in beiden Fällen eine wesentliche Rolle spielen zur Ablösung fossiler Energieträger und damit erheblich beitragen zur Resilienz in unserem Energieversorgungssystem und zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Verbände wie der DWV und die Wasserstoffgesellschaft Hamburg unterstützen diesen Transformationsprozess. Hier gestaltend mitzuwirken ist eine ausgesprochen spannende Aufgabe, die ich gerne wahrnehme.
ENI: Wie sollte die Politik in Deutschland das Thema Wasserstoff und dessen Hochlauf behandeln? Haben Sie da konkrete Vorschläge?
Weinmann: Der Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft muss von der Politik prioritär behandelt werden, um unserer energiewirtschaftlichen Ziele zur Versorgungssicherheit, CO2-Minderung und Wirtschaftlichkeit möglichst schnell zu erreichen. Leider haben wir aktuell kein Umfeld, in dem Investitionssicherheit für Wasserstoffanlagen besteht. Dazu fehlen die regulatorischen Vorgaben. Die Technologie ist soweit ausgereift, das großskalige Anlagen gebaut werden können, und die Wirtschaft ist bereit zu investieren. Bedauerlicherweise wird die Regulatorik zum Einsatz von Wasserstoff nun schon seit Jahren nahezu ergebnislos diskutiert, wie zum Beispiel der Delegated Act in der RED2 (Renewable Energy Directive der EC). Wenn hier weiterhin gebremst wird, werden wir nicht nur unsere Ziele zur Treibhausgasminderung erheblich verfehlen, sondern der sich entwickelnde Wirtschaftszweig Wasserrstoff wird sich in anderen Regionen der Welt entwickeln.
ENI: Weltweit ist eine Goldgräberstimmung in Sachen Wasserstoff ausgebrochen, vor allem unter den Aspekten des Klimawandels und der Energiesicherheit. Wie schätzen Sie die Lage ein? Ist das alles realistisch in der Umsetzung? Gibt es kritische Einflüsse?
Weinmann: Das ist richtig, es gibt eine Vielzahl von Projekten und Ankündigungen im Wasserstoffsektor. Ob die nun am Ende alle so umgesetzt werden, kann ich nicht beurteilen. Es wird, wie bei jeder neuen Technologie, sicherlich noch eine ganze Reihe von Änderungen und Neuentwicklungen geben. Für die zügige Umsetzung sind aus meiner Sicht vier Punkte ausschlaggebend: Schneller und ausreichender Ausbau der Erneuerbaren Energien zur Herstellung von grünem Wasserstoff, erheblich schnellere Genehmigungsverfahren, eine investitionsfreundliche Regulierung und in der Anfangsphase des Markthochlaufs Förderinstrumente um die Mehrkosten von grünem Wasserstoff gegenüber fossilen Energien abzufedern.
ENI: Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act auch Akzente im Bereich Wasserstoff und die Subventionen für dessen Produktion auf den Weg gebracht. Diese erscheinen mir sehr pragmatisch gedacht. Sollten wir uns das in Deutschland und der EU zum Vorbild nehmen?
Weinmann: Auf jeden Fall. Die USA haben mit dem Inflation Reduction Act einen sehr pragmatischen Weg beschritten zur Förderung von Wasserstoff, ähnlich dem EEG bei uns. Etwas vergleichbares wünsche ich mir in der EU und Deutschland. Allerdings wird sich hier lieber mit viel regulatorischem und theoretischem Klein-Klein beschäftigt und wir kommen nicht in die Umsetzung.
Deutschland ist heute führend bei der Wasserstofftechnologie, die in den letzten Jahren von der Industrie mit Förderung durch die Bundesregierung und die EC entwickelt wurde. Nun laufen wir Gefahr, das andere Länder wie die USA durch sehr effiziente Fördersysteme einen deutlich schnelleren Markthochlauf ermöglichen und dadurch ein wesentlich attraktiverer Standort für die Industrie werden. Dann hätte Deutschland mal wieder eine Technologie entwickelt, die aber woanders umgesetzt wird und dort entsprechendes Wachstum und Arbeitsplätze schafft.
Wir müssen also möglichst schnell investitionsfreundliche Rahmenbedingungen für grünen Wasserstoff schaffen - entlang der gesamten Wertschöpfungskette von der Produktion über die Verteilung bis zur Nutzung-, um das immense wirtschaftliche Potential bei uns zu heben.
ENI: Wenn Sie sich bezogen auf Wasserstoff in seinen vielen Farben etwas wünschen dürften, was wäre das ?
Weinmann: Meine Vision ist, dass grüner Wasserstoff in zehn Jahren eine Selbstverständlichkeit ist und gehandelt wird wie eine Commodity – vergleichbar zu Erdgas heute.
Der Beitrag ist zuerst in ENI EXXECNEWS INSTITUTIONAL 02/2024 erschienen.
Dr. Oliver Weinmann (Jahrgang 1960) ist Geschäftsführer der Vattenfall Europe Innovation GmbH. Die Tochtergesellschaft der Vattenfall GmbH konzentriert sich auf die Entwicklung neuer Geschäftsfelder im Bereich Erneuerbare Ener-gien. Er studierte Verfahrenstechnik an der RWTH Aachen und promovierte anschließend bei der DLR in Köln über Solarthermische Kraftwerke. 1992 begann er seine Karriere bei der HEW in Hamburg und wechselte 2003 als Head of Innovation Management zu Vattenfall. Parallel dazu war er zwischen 2004 und 2007 Geschäftsführer der Vattenfall Renewables GmbH. 2010 wurde er zum Geschäftsführer der Vattenfall Europe Innovation GmbH ernannt.