"Aktienmärkte ignorieren sinkende Marktzinsen"
In den vergangenen Wochen hat sich der Inflationsdruck abgeschwächt, damit verbunden sind die Langfristzinsen gesunken. Die Aktienmärkte haben sich davon jedoch nicht beeindrucken lassen. Im Gegenteil: Der nachlassende Inflations- und Zinsdruck wird als sicheres Zeichen dafür gewertet, dass die geldpolitische Straffung zunehmend in der Realwirtschaft ankommt und die Unternehmensgewinne bald spürbar unter Druck geraten könnten, so schreibt Dr. Eduard Baitinger, Head of Asset Allocation beim Investmenthaus Feri-Gruppe.
Die Analysten rechneten zwar mit einer gewissen Fragilität bei den Unternehmensgewinnen, nicht jedoch mit einer deutlichen Eintrübung. Es drohten also spürbare Revisionen bei den Gewinnschätzungen. Diese könnten so stark ausfallen, dass sie die positiven Effekte der reduzierten Marktzinsen auf die Bewertungen überkompensieren. Neue drastische Abverkäufe wären die Konsequenz. Die Marktteilnehmer warteten daher die weitere Entwicklung ab.
Für die kommenden Monate erscheinen laut Baitinger drei unterschiedliche Szenarien vorstellbar: Im besten Fall lasse der Inflationsdruck schneller nach als erwartet und die globalen Notenbanken gehen wieder dazu über, die Märkte zins- und liquiditätsseitig zu unterstützen. Die globale Wirtschaft zeige sich zudem stabil und der befürchtete Einbruch der Unternehmensgewinne bleibe aus. Gegen dieses äußerst optimistische Szenario sprechen laut Kommentar jedoch allein schon die makroökonomischen Vorlaufindikatoren, die auf ernsthafte Rezessionsrisiken hindeuten. Wahrscheinlicher sei vielmehr, dass sich die Konjunktur weiter abschwäche und die Gewinnprognosen der Unternehmen nach unten angepasst werden müssen. In diesem mittleren Szenario würden die Aktienmärkte in den nächsten Monaten negativ tendieren. Der Abverkauf könnte allerdings dadurch gemildert werden, dass die Langfristzinsen angesichts des schwachen Makroumfelds weiter nachgeben. Im schlimmsten Fall drohe eine harte makroökonomische Stagflation gepaart mit einer Gewinnrezession. Dies könnte passieren, wenn sich die geopolitische Lage weiter zuspitzt, etwa bei einer Ausweitung des Ukrainekrieges sowie einer militärischen Eskalation rund um die Taiwan-Frage oder im Iran-Konflikt. Es käme dann zu deutlichen Einbrüchen an den Märkten, die nicht mehr durch sinkende Marktzinsen oder die Fed eingefangen werden könnten. Kurzfristig habe dieses Negativszenario nur eine begrenzte Wahrscheinlichkeit.
Grundsätzlich seien geopolitische Störfeuer im Verlauf des Jahres 2023 und darüber hinaus aber nahezu sicher. Professionelle Anleger sollten sich mit den skizzierten Szenarien vertraut machen. Im ersten Halbjahr 2023 erscheine dabei eine defensive Grundausrichtung der Asset Allocation angemessen, die jedoch genügend Flexibilität lasse, um vom phasenweise freundlichen Zinsumfeld zu profitieren. Gleichzeitig seien Absicherungen gegen geopolitische Risiken weiterhin sinnvoll. (DFPA/mb1)
Die 1987 gegründete Feri-Gruppe mit Sitz in Bad Homburg ist in den Geschäftsfeldern Vermögensberatung und -verwaltung sowie Wirtschaftsforschung tätig. Seit 2006 gehört die Unternehmensgruppe zum MLP-Konzern. Derzeit betreut Feri zusammen mit MLP ein Vermögen von 55 Milliarden Euro, darunter rund 15 Milliarden Euro alternative Investments. Die Feri-Gruppe unterhält neben dem Hauptsitz in Bad Homburg weitere Büros in Düsseldorf, Hamburg, München, Luxemburg, Wien und Zürich.