"Anleihen sind attraktiv, aber Vorsicht bei hohen Renditeversprechen"
Schwaches Wachstum und Quantitative Easing ließen die Zinsen jahrelang fallen. In den 2010ern konnte man mit Anleihen daher kaum etwas verdienen. Doch 2022 kam die Wende. Die Notenbanken reagierten spät, aber schließlich taten sie etwas gegen die weltweit erstaunlich hohe Inflation. Die steigenden Leitzinsen haben Festzinsanlagen wieder attraktiv gemacht – und eine überfällige Korrektur risikoreicherer Titel ausgelöst. Zugleich sorgten hohe Staatsanleihenzinsen und weitere Credit Spreads für hohe Renditen. Das merkt Robert M. Almeida Jr. An, Portfoliomanager und Globaler Investmentstratege bei dem Vermögensverwalter MFS Investment Management.
Egal, ob die Inflation schneller oder langsamer fällt: Das Leitzinsmaximum sehr nah. „Wegen der recht hohen Renditen und der Spreadnormalisierung halten wir Anleihen daher wieder für attraktiver – so sehr, dass ich sie in meinen Multi-Sektor-Portfolios zulasten von Aktienübergewichte. Wir glauben aber, dass sich der Fokus der Anleger 2023 verschiebt. Statt Inflation und steigender Zinsen wird die schwächere Konjunktur zum wichtigsten Thema. Man wird sich wieder mehr mit Unternehmensgewinnen, Zahlungsausfällen oder Insolvenzen befassen. Nur weil die Renditen höher sind, müssen die Risiken nicht niedriger sein. Die Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren in vielerlei Hinsicht verändert. Kurzfristig könnten die Cashflows der Unternehmen vor allem durch höhere Zinsen und Arbeitskosten unter Druck geraten. Die Gewinne würden dann deutlich fallen“, sagt Almeida Jr. Weniger akut, aber ebenso wichtig, scheine die steigende Kapitalintensität. Auch sie könnte sich als Herausforderung erweisen.
Die Stagnation der 2010er-Jahre hatte viel damit zu tun, dass die Unternehmen weniger investierten. Wegen des schwachen Wachstums verzichteten sie auf neue Projekte. Stattdessen erhöhten sie die Dividenden, kauften Aktien zurück und übernahmen Wettbewerber. Da die Produktion wegen der Globalisierung in Länder mit niedrigeren Kosten verlagert wurde, stieg die Rentabilität weiter. All das ließ die Kapitalintensität in den 2010er-Jahren weltweit fallen. Aber die Welt habe sich verändert. Kunden, Mitarbeiter und Investoren verlangen von Unternehmen Verhaltensänderungen. Sie wünschten sich mehr Umweltbewusstsein und den Verzicht auf Zulieferer, die Menschenrechte verletzen. Doch selbst einfache Maßnahmen zur Emissionssenkung seien kapitalintensiv, und für den Ausbau des über 100 Jahre alten Elektrizitätsnetzes sowie andere große Umweltprojekte gelte das erst recht. Hinzu kämen die Deglobalisierung und die aufwendige Repatriierung der Produktion. Nach den schwachen Jahren dürften die Investitionen jetzt steigen. All das habe großen Einfluss auf die Gewinnmargen, vor allem im Vergleich zu den 2010ern.
Im Schnitt bieten amerikanische High-Yield-Anlagen jetzt fast zehn Prozent Rendite. Aber wie viele der oft hoch verschuldeten Emittenten haben ein Geschäftsmodell, das trotz fallender Nachfrage, deutlich höherer Betriebskosten und höherer Investitionen mehr als zehn Prozent Ertrag erwirtschaftet? Unternehmen, die mit den höheren Zinsen zurechtkommen und deren Erträge die höheren Kapitalkosten übertreffen, werden ihre jetzt günstig bewerteten Anleihen zurückkaufen wollen. Aber anderen Firmen drohen Zahlungsausfälle. 10% Rendite könnten dann trügerisch sein. Es handelt sich um Scheinrenditen. Die Verschuldungs- und Zinsdeckungsgrade der Unternehmen scheinen heute „normal“. Aber das liege vor allem an den hohen Vergangenheitsgewinnen. Finanzkennziffern seien vor allem in schwierigen Zeiten wichtig. „Ich bin mir nicht sicher, wann und wie stark Gewinne und Margen fallen. Fest steht aber, dass dann die Unternehmensfinanzen unter Druck geraten, Kreditereignisse eingeschlossen. Schwächere Unternehmen, die mehr Schulden aufgenommen haben, als sie sich leisten können, werden ihre Renditeversprechen dann vielleicht nicht erfüllen“, sagt Almeida Jr. (DFPA/mb1)
MFS Investment Management ist ein Vermögensverwalter mit Sitz in Boston.