DB Research: Deutschland betreibt gefährliche Wohnungspolitik
Ein radikaler Kurswechsel in der Wohnungspolitik ist dringend erforderlich. Es bedarf eines Gesamtpakets auf Bundesebene, um den Wohnungsmangel abzubauen. Eine Fortsetzung der aktuellen Politik erhöht die makroprudenziellen Risiken im Finanzsektor und schürt Widerstände mit Blick auf die Integration der Flüchtlinge. Zu dieser Einschätzung gelangt Dr. Jochen Möbert, Analyst im Team Makroökonomie des Deutsche Bank (DB) Research, in einem aktuellen Kommentar.
Angesichts der am 13. Juni veröffentlichten Zahlen zu den Baufertigstellungen sei „noch einmal markant auf die Gefahren im aktuellen Marktumfeld hinzuweisen.“ Zusammen mit dem Nachfrageüberhang der letzten Jahre würden vermutlich deutlich mehr als eine halbe Million Wohnungen in Deutschland fehlen. Da auch in den nächsten Jahren die Zahl der Fertigstellungen nur allmählich steigen dürfte, verschärfe sich der Wohnraummangel weiter.
Utopisch scheine vor diesem Hintergrund das Ziel der Bundesregierung, „bezahlbaren Wohnraum“ zu schaffen. Kernprobleme sind laut Möbert nicht die Mietpreisbremse und die zahlreichen weiteren angedachten regulatorischen Verschärfungen per se, sondern das Fehlen eines Gesamtkonzepts zum Abbau der Marktungleichgewichte.
Nach Überzeugung des Analysten müsste an verschiedenen Stellen angesetzt werden: „Erstens müssen neue Stadtteile entstehen auch über die bisherigen Stadtgrenzen hinaus. Die bisherige Strategie, auf Nachverdichtung und Konversion zu setzen, ist zu kurz gesprungen. Zweitens, die Infrastruktur, insbesondere die Anbindung an die Ballungszentren und Großstädte muss verbessert werden, um die Wohnungsnachfrage auf große Regionen zu verteilen. Drittens, eine schnelle und effektive Umsetzung solcher großen Bauvorhaben kann nur mit den Bürgern und nicht gegen die Bürger umgesetzt werden. Die Bundes- und Landesregierungen könnten die sowieso rege Bürgerbeteiligung bei Bauvorhaben kanalisieren. Mit verpflichtenden Bürgerentscheiden bei jedem größeren Bauvorhaben domestiziert man auch die Wutbürger. Der Planungsprozess dürfte somit beschleunigt und effizienter werden. Viertens, eine umfassende Neuordnung deutscher Stadt- und Bundesländergrenzen ist überfällig. Womöglich ließe sich eine Neuordnung ebenfalls über Volksabstimmungen erreichen. Dank unserer Grundgesetzväter und -mütter und Artikel 20 GG wären Abstimmungen auch auf Bundesebene möglich. Fünftens, die Lehre aus den Desastern bei den aktuellen Großprojekten kann nur lauten, die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft haben hierfür künftig zu haften - eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Wer dies unterlässt, braucht sich nicht wundern, wenn der Steuerzahler sich von den etablierten Parteien abwendet.“
Zweifellos seien diese Vorschläge radikal und für viele klängen sie utopisch. Doch die aktuelle Wohnungspolitik sei auf dem besten Weg, die bestehende Wohnungsnot zu verschärfen. Folglich würden die Hauspreise und Mieten und ebenso die Risiken für den Finanzsektor in den nächsten Jahren weiter steigen. Angesichts der damit auch einhergehenden Risiken für den Staatshaushalt sei eine Fortsetzung der jetzigen Wohnungspolitik nicht nur unvernünftig, sondern gefährlich.
Quelle: Kommentar DB Research
Deutsche Bank Research verantwortet die volkswirtschaftliche Analyse in der Deutsche Bank Gruppe und berät die Bank, ihre Kunden und Stakeholder. (TH1)