Ethenea-Kommentar: "Die EZB wird noch einige unbequeme Zinsentscheidungen treffen müssen"
Die nächste Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) steht am 4. Mai 2023 an. Volker Schmidt, Senior Portfolio Manager bei Ethenea Independent Investors, rechnet mit einer Anhebung des Einlagenzinssatzes um 50 Basispunkte: „Die EZB will ihre Zinsentscheidung von den aktuellen Inflationszahlen und Wirtschaftsdaten abhängig machen. Die heute von Eurostat veröffentlichten Zahlen zeigen: Im April 2023 hat sich die Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr noch einmal leicht auf sieben Prozent beschleunigt. Fallende Energiepreise sowie die Normalisierung der Lieferketten nähren zwar die Hoffnung, dass dies nur ein kurzfristiges Intermezzo ist – als Highlight zu nennen ist der Fall der regulierten Strompreise in Italien im April um sagenhafte 55 Prozent. Dennoch ist die Inflation viel zu hoch.“
Zwar sei die Kerninflation (ohne die volatilen Komponenten Energie und Lebensmittel) im April 2023 gegenüber dem Vorjahresmonat minimal gesunken, auf nun 5,6 Prozent. Das Potenzial für weitere Rückgänge sei aber begrenzt. Dies sollte für die Zentralbank eine deutliche Warnung sein, dass der Kampf gegen die Inflation noch lange nicht gewonnen sei. Eine weitere Zinssteigerung um 50 Basispunkte wäre aus Schmidts Sicht der richtige Weg, um den Einlagenzins von derzeit drei Prozent zunächst auf 3,5 Prozent und bis zur Sommerpause noch auf mindestens vier Prozent anzuheben.
Mit ihrer letzten Zinsentscheidung im März 2023 hatte die EZB auch ihre aktuelle Inflationsprognose veröffentlicht: Für 2023 rechnet die EZB mit einer Inflation von durchschnittlich 5,3 Prozent, für das Jahr 2024 mit 2,9 Prozent. Letztlich werden sich Kerninflation und Gesamtinflation annähern. Derzeit sei die umfassende Inflation noch höher, werde aber in den kommenden Monaten sicher unter die Kerninflation fallen, wie dies in den USA bereits geschehen sei. Da die Energiepreise aber nicht dauerhaft sinken werden, müssen sich die beiden Werte bis 2024 annähern. „Wir gehen davon aus, dass dieser Wert bei vier Prozent oder höher liegen wird, also deutlich über der EZB-Prognose für 2024. Die wirtschaftliche Verfassung ist zumindest solide – in dieser Hinsicht besteht kein Grund zur Zurückhaltung für die EZB“, sagt Schmidt. Der März-Zinsentscheid der EZB erfolgte wenige Tage nach der Pleite der Silicon Valley Bank, fast zeitgleich wackelte die Credit Suisse und nur wenig später erfolgte der Notverkauf an die UBS. Die daraus entstandenen Auswirkungen auf die Wirtschaft in der Eurozone seien vernachlässigbar. Der Dienstleistungssektor brumme aktuell, wie die veröffentlichten Stimmungsindikatoren (Einkaufsmanagerindizes) zuletzt wieder bestätigt hätten. In der Industrie sei die Lage differenzierter, aber auch dort zögen die Auftragseingänge wieder an. Um ihr Inflationsziel zu erreichen, werde die EZB noch einige unbequeme Zinsentscheidungen treffen müssen. (DFPA/mb1)
Ethenea Independent Investors S.A. ist eine bankenunabhängige Kapitalverwaltungsgesellschaft mit Sitz in Luxemburg. Das 2010 gegründete, inhabergeführte Unternehmen verwaltet ein Vermögen in Höhe von 2,47 Milliarden Euro (Stand: 31. März 2023).