Flut an Unternehmensanleihen: Zweischneidiges Schwert für Investoren
Die emsige Betriebsamkeit an den Primärmärkten für Unternehmensanleihen ist auf der einen Seite ein Zeichen für deren Resilienz. Allerdings droht durch die Liquiditätsflut aber auch eine Überschuldung der Unternehmen. Dies stellt Wolfgang Bauer, Fondsmanager Anleihen beim Vermögensverwalter M&G Investments, in einem Marktkommentar fest.
„Von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, wurden in den letzten Wochen täglich neue Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Bewertung (IG) herausgegeben. Seit Jahresbeginn ist das Angebot auf den US-amerikanischen und europäischen IG-Primärmärkten auf rund 970 Milliarden US-Dollar beziehungsweise etwa 310 Milliarden Euro gestiegen. Damit übertrifft das Volumen der Neuemissionen bei weitem das des gleichen Zeitraums in den Vorjahren", schreibt Bauer.
Aus der Sicht eines Anleiheanlegers ist diese Entwicklung nach Einschätzung von Bauer allerdings nicht nur positiv. Die neuen Papiere sind zwar in der Regel attraktiver bewertet: In schwierigen Marktphasen kann das schon mal ein durchschnittlicher Aufschlag von 25 bis 40 Basispunkten sein. Die höheren Bewertungen an den Primärmärkten führten allerdings auch zum Druck auf die Aufschläge am Sekundärmarkt und belasteten so Inhaber von bereits im Umlauf befindlichen Papieren.
„Wirklich beunruhigend für Bondinvestoren sind die hohen Schuldenberge vieler Unternehmen. Denn es ist eine Binsenweisheit, dass die Anfälligkeit eines Kreditnehmers steigt, wenn er mit der Ausgabe neuer Anleihen seinen Fremdkapitalanteil erhöht. So wächst das Risiko seiner Schuldtitel und das wiederum gefährdet sein Kreditrating“, so Bauer.
Durch die Flut an Neuemissionen sagen die Unternehmen im Grunde genommen: Wir müssen uns Geld leihen, um unser Liquiditätsprofil zu verbessern und die starken Umsatzrückgänge auszugleichen, die wir durch die Corona-Krise erlitten haben. Es versteht sich laut Bauer von selbst, dass so kein nachhaltiges Geschäftsmodell aussieht.
Andererseits sei die Neuemissionswelle auch ein ermutigendes Signal. „Wenn man bedenkt, dass die Primärmärkte noch in der ersten Märzhälfte so gut wie geschlossen waren, so hat sich ihr Zustand seitdem zweifellos verbessert. Es ist ein gutes Zeichen, dass sich Unternehmen in einem funktionierenden Markt Kapital zur Finanzierung von Betriebskosten und zur Refinanzierung bestehender Schulden beschaffen können. Ebenfalls ermutigend ist, dass selbst solche Namen, die stark unter der Krise leiden, ihren aktuellen Finanzierungsbedarf über Erstemissionen decken können“, so der Anleihenexperte.
Gesamtwirtschaftlich gesehen stelle sich aber die Frage, wie viele solcher Unternehmen durch leicht verfügbare Fremdfinanzierungen überleben werden, die sonst aufgrund ihrer schwachen Bilanzen oder ihrer geringen Produktivität von der Bildfläche verschwunden wären. Schumpeters berühmtes Prinzip der „schöpferischen Zerstörung“ würde so umgangen. Sollte sich dieser Trend fortsetzten, bedeutete das für die Industriestaaten künftig geringere Innovationskraft und gedämpfte potenzielle Wachstumsraten. Für Anleiheanleger sei es daher wichtiger denn je, gute und schlechte Schuldner zu identifizieren. (DFPA/TH1)
Quelle: Marktkommentar M&G
M&G Investments ist eine Vermögensverwaltungsgesellschaft mit Sitz in London. Das 1901 gegründete Unternehmen beschäftigt über 1.500 Mitarbeiter.