Kommentar: "Wann gerät das Verbrauchervertrauen ins Wanken?"
Selten waren die Aktien- und Anleihemärkte so uneins wie in letzter Zeit. Während die Aktienmärkte die Möglichkeit einer Rezession abtun, scheinen die Anleihen fest mit einer solchen zu rechnen. Da dieser Zyklus bekanntermaßen schwer vorherzusagen ist, lautet die entscheidende Frage: Wann wird das Verbrauchervertrauen ins Wanken geraten? Diese Fragen stellt Sven Schubert, Senior Investment Strategist bei der Privatbank Vontobel, in einem Kommentar.
Die Rezessionserwartungen wurden wiederholt durch robuste Verbraucher, Arbeitsmärkte und die Gesamtwirtschaft widerlegt, die einen potenziellen Abschwung weiter in die Ferne rücken lassen – trotz der weiterhin hohen Inflation und der gemischten Signale der US-Notenbank in Bezug auf den künftigen Zinspfad. Aktien hätten die Gelegenheit genutzt, um zuzulegen − unterstützt von verlockenden Technologie- und KI-Themen. Währenddessen hätten Anleihen eine andere Wendung genommen: Sie preisten eine hohe Rezessionswahrscheinlichkeit ein, da die Renditekurven in vielen Industrieländern invertiert sind und die Spreads sich nicht mehr verengen. Diese Dichotomie offenbare einen starken Widerspruch in den Finanzmärkten, die sich über die Zukunft der Weltwirtschaft uneinig zu sein scheinen. Vieles hänge von der Entwicklung der Verbrauchernachfrage ab, die sich bislang als überraschend stark erwiesen habe. Im Allgemeinen könne das Verbrauchervertrauen vor allem durch drei verschiedene negative Ereignisse erschüttert werden: Steigende Verbraucherpreise, Verlust von Arbeitsplätzen sowie sinkende Immobilienwerte.
Tatsächlich hätten sich die Schulden auf die Regierungen verlagert, die sich infolge der aggressiven Konjunkturmaßnahmen während der Pandemie mit immer größeren Schuldenbergen konfrontiert sehen - trotz des jüngsten Rückgangs der Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP dank der starken Wachstumserholung nach Corona. Die Immobilienmärkte sind mit einem Fragezeichen versehen und bedürfen einer weiteren Analyse. Die Wohnimmobilienaktivität in den Schwellenländern und den Industrieländern ist historisch schwach und nähert sich dem Niveau während der US-Immobilienmarktkrise von 2007/08. In den Schwellenländern erholt sich der Aktivitätsindikator jedoch bereits. Insbesondere der chinesische Wohnungsmarkt hat nach unserem Konjunkturmodell Wave einen Boden gefunden. Obwohl eine Verschlechterung der Immobilienmarktaktivität einen Wirtschaftsabschwung beschleunigen könne, insbesondere in Verbindung mit einer anhaltenden Liquiditätsverknappung, gebe es gute Gründe für die Annahme, dass die derzeitige Schwäche keine ähnlichen Folgen haben werde wie 2007/08. Erstens sei das Aktivitätsniveau in wichtigen Ländern wie den USA und der WWU derzeit nicht besorgniserregend. Zweitens seien die Bilanzen der systemrelevanten Banken in den Industrieländern wesentlich solider als während der Großen Finanzkrise. Drittens gebe es in den wichtigsten Ländern keine eindeutigen Anzeichen für ein Überangebot auf dem Wohnungsmarkt, das einen Abwärtsdruck auf die Preise ausüben könnte. Viertens sei die Laufzeit der Hypotheken im Durchschnitt deutlich höher als während der Großen Finanzkrise, mit Ausnahme einiger skandinavischer und baltischer Länder. Und schließlich sei der Verschuldungsgrad der privaten Haushalte deutlich geringer als während der Finanzkrise.
So schwierig es für Ökonomen sei, diesen Zyklus zu prognostizieren, so schwierig sei es auch für Anleger, sich zu positionieren: Sollen sie an der Aktieneuphorie teilhaben oder sich in die Anleihenflaute einkaufen? Anleger seien gut beraten, bei ihren Aktienengagements eine gewisse Vorsicht walten zu lassen, indem sie diese entweder moderat halten oder über Optionen absichern. So könnten sie an der Aufwärtsbewegung teilhaben, ohne zu vergessen, dass wir noch nicht über den Berg seien. (DFPA/mb1)
Die Vontobel Holding AG ist eine international tätige Schweizer Privatbank mit Sitz in Zürich. Sie ist auf die Vermögensverwaltung für Privatkunden und institutionelle Anleger sowie das Investment Banking spezialisiert.