Marktkommentar: Eine fragwürdige Unterscheidung in Value- und Growth-Aktien
ChatGPT, der KI-einsetzende Chatbot, antwortete kürzlich auf die Frage „Warum wird zwischen Value- und Growth-Aktien unterschieden?“ gleichermaßen schnell und selbstsicher: „Value- und Growth-Aktien repräsentieren unterschiedliche Anlagestrategien. Value-Investoren suchen nach Aktien, die sie für unterbewertet halten und davon ausgehen, dass der Markt diese Aktien letztendlich zu ihrem fairen Wert korrigieren wird. Growth-Investoren hingegen konzentrieren sich auf Unternehmen, die ein hohes Wachstumspotenzial aufweisen und sind bereit, höhere Bewertungen zu akzeptieren, um von diesem Wachstum zu profitieren“. Darauf macht Marcus Hüttinger, Marktstratege bei dem Fondsberater Gané, in einem Marktkommentar aufmerksam.
Trotz der Begeisterung für die neue Technologie, aber auch im Wissen, dass von den neuen großen Sprachmodellen keine Wunderdinge erwartet werden dürfen, möchten Hüttinger der von ChatGPT vorgenommen Unterscheidung in Value und Growth widersprechen. „Als eventorientierter Value-Investor, der die GANÉ ist, sind wir wie Warren Buffett davon überzeugt, dass Wachstum ein unabdingbarer Bestandteil der Value-Gleichung ist. Wer möchte schon in ein vermeintlich unterbewertetes Unternehmen investieren, wenn es nicht mehr wächst (sofern er es nicht liquidieren kann)? Man möchte doch in ein unterbewertetes Unternehmen investieren, das über einen profitablen weiteren Wachstumspfad verfügt“. So Hüttinger.
Warum? Der Wert eines Unternehmens entspreche den abgezinsten Bargeldüberschüssen, die über die Lebenszeit des Unternehmens entnommen werden können. Für Gané stelle daher der freie Cashflow, also der Bargeldüberschuss nach Abzug von Erhaltungsinvestitionen, die wichtigste Kennzahl bei der Unternehmensanalyse dar. Steigen die freien Cashflows in den vorausliegenden Jahren kontinuierlich an, verbessere sich die Innenfinanzierungkraft des Unternehmens und es könne in seine weitere Wachstumsstrategie investieren und Kapital über Dividenden und Aktienrückkäufe zurückführen. Langfristig werde das Unternehmen damit für Investoren attraktiver. Zum Beispiel wie bei einigen US-amerikanischen Technologieunternehmen. Seit der Großen Finanzkrise sind die Erträge von Alphabet, Apple und Microsoft enorm gewachsen. Nach der Definition von ChatGPT hätten Value-Investoren allerdings genau auf diese herausragenden wachsenden Unternehmen in ihren Portfolios verzichten müssen. „Absurd, wenn man sich die positive Entwicklung ihres Values, also die riesigen freien Cashflows und die Kundenrelevanz, die in den letzten 15 Jahren aufgebaut worden ist, vergegenwärtigt“, so Hüttinger. Was dagegen seinerzeit noch als Value-Klassiker galt, zum Beispiel diverse Banken oder die Stahlindustrie, leide heute an Strukturwandel und Bedeutungsverlust. Das Kurs-Buchwert- und das Kurs-Gewinn-Verhältnis erschien damals zwar attraktiv und deutete eventuell auf eine Unterbewertung hin, doch habe sich Value im Zeitablauf nicht auf- sondern abgebaut, denn: Wachstum sei keines mehr vorhanden gewesen. Das Unternehmen orientiere sich deswegen nicht an Kennzahlen, die den Status quo abbilden, sondern richte den Blick auf die Zukunft eines Unternehmens und halten es wie Warren Buffett: „Growth and value investing are joined at the hip.“ (DFPA/mb1)
Die Gané Aktiengesellschaft ist ein Fondsberater mit Sitz in Aschaffenburg.