"Stimmung auf deutschem Venture-Capital-Markt wird frostiger"
Durch die inflationsbedingte Ankündigung steigender Leitzinsen ist das Geschäftsklima auf dem deutschen Venture-Capital (VC)-Markt bereits im ersten Quartal 2022 eingeknickt. Eine historische Zinserhöhung durch die US-Notenbank Fed in den USA und Erwartungen über einen strafferen Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) haben die Stimmung im zweiten Quartal weiter auf Talfahrt geschickt. Das geht aus dem „German Venture Capital Barometer 2. Quartal 2022“ der KfW in Kooperation mit dem Bundesverband Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften (BDK) und Deutsche Börse Venture Network hervor.
Der Geschäftsklimaindikator des Frühphasensegments fällt um 26,0 Zähler auf minus 18,5 Saldenpunkte. Die Geschäftserwartungen haben sich dabei noch stärker eingetrübt als die Geschäftslage. Der Indikator für die aktuelle Geschäftslage sinkt auf minus 7,6 Saldenpunkte (minus 20,6), der Indikator für die Geschäftserwartung verliert 31,4 Zähler auf minus 29,4 Saldenpunkte.
Steigende Zinsen machen für Fondsinvestoren die Assetklasse VC gegenüber sichereren Anlagen unattraktiver. Mit dem großen Zinsschritt ist deshalb auch das Fundraisingklima bei VC-Fonds weiter eingebrochen. Es ist nach dem Corona-Schock der bisher zweithöchste Rückgang des Fundraisingklimas. Der Einbruch Anfang 2020 wurde durch die Unsicherheit über die weitere Pandemieentwicklung ausgelöst. Diese Unsicherheit legte sich schnell, das Fundraisingklima erreichte bereits ein Jahr später das alte Rekordniveau. Aktuell ist eine solche V-förmige Erholung angesichts der veränderten makroökonomischen Fundamentaldaten aber unwahrscheinlich.
Die deutliche Abkühlung des Fundraisingklimas wirkt sich offenbar auf die Bereitschaft der VC-Investoren aus, Neuinvestitionen zu tätigen. Trotz der günstigeren Einstiegsgelegenheiten ist der entsprechende Indikator eingeknickt, insbesondere die Erwartungskomponente.
Bisher war weder im Indikator zur Investitionsbereitschaft noch in den realisierten Deals eine große Zurückhaltung zu erkennen. Zwar blieb das Dealvolumen im ersten Halbjahr dieses Jahres klar hinter den beiden vorherigen Halbjahren zurück, allerdings war 2021 auch ein unerwartetes Ausnahmejahr. Angetrieben durch US-Investoren hatte sich das Dealvolumen im Vergleich zum Vorjahr 2020 verdreifacht.
Ausgehend von diesem hohen Niveau und angesichts der veränderten Marktbedingungen war nun für das erste Halbjahr 2022 ein stärkerer Rückgang als die zu beobachtenden minus 25 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2021 zu befürchten gewesen. So waren die ersten sechs Monate 2022 mit Blick auf die Investitionstätigkeit sogar das drittbeste Halbjahr auf dem deutschen VC-Markt überhaupt. Die Aussichten für die Investitionstätigkeit haben sich nun zwar vorerst eingetrübt, für die mittlere Frist bleiben sie aber gut. Denn aufgrund der sehr guten Fundraising-Bedingungen sind in den vergangenen Jahren viele neue Fonds hinzugekommen. Selbst in diesem Jahr gab es noch etliche Closings. Es ist deshalb noch viel „dry powder“ im Markt, das innerhalb der jeweiligen Fondslaufzeit investiert werden muss. Eben diese jungen Fonds, die noch den allergrößten Teil ihres Kapitals bei den Fondsinvestoren abrufen können, dürften von den nun wieder günstigeren Einstiegsgelegenheiten profitieren. Wenn deren Portfolien in ihre Disvestitionsphasen kommen, könnten sich für sie auch die Exitaussichten bereits wieder verbessert haben.
Die Beurteilung des Exitklimas ist aktuell sehr schlecht. Sie war lediglich nach dem Corona-Schock und während der Finanzkrise schlechter. Neu ist die Geschwindigkeit, mit der das Exitklima abgekühlt ist. Der entsprechende Indikator hat zweimal in Folge mehr als 50 Zähler verloren. Insbesondere das IPO-Klima hat sich verschlechtert. Nachdem sich 2021 das beste IPO-Jahr seit langem zeigte, gab es im ersten Halbjahr in den USA und in Europa zuletzt 2009 so wenige IPOs VC-finanzierter Unternehmen wie in diesem Jahr.
Die aktuellen Entwicklungen auf den VC-Märkten haben auch Spuren im Dealflow der VC-Investoren hinterlassen. Ausgehend vom im ersten Quartal erreichten Bestwert verliert der Indikator zur Höhe des Dealflows deutlich. Das kann verschiedene Gründe haben. So war die einschlägige Medienberichterstattung im letzten Quartal von Entlassungen und Downrounds bei Start-ups sowie Sparempfehlungen von Investoren an ihre Portfoliounternehmen geprägt.
Auch könnte sich die strategische Refokussierung vieler Investoren bei der Investitionsentscheidung – weg von schnellem Wachstum, hin zu positiven Cashflows – ausgewirkt haben. Denn es könnte Start-ups mit stark wachstumsorientierten Geschäftsmodell dazu bewogen haben, sich mit Finanzierungsanfragen zurückzuhalten. Generell dürften im aktuellen Marktumfeld eher jene Start-ups in die Kapitalakquise gehen, die neues Kapital brauchen, weil sie das noch vorhandene Kapital nicht weiter strecken können. Finanzierungsrunden, um den bereits vorhandenen Liquiditätspuffer weiter auszubauen, dürften dagegen selten geworden sein. Hervorzuheben ist allerdings, dass die Qualität des verbliebenden Dealflows nach wie vor hoch zu sein scheint. Der Qualitätsindikator ist weiter gestiegen und liegt auf einem hohen Niveau. (DFPA/JF1)
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