Weg frei für Zinswende, Bauzinsen steigen
Die Europäische Zentralbank (EZB) wird im Juli 2022 zum ersten Mal seit über zehn Jahren den Leitzins anheben, einen weiteren Schritt stellt sie für September in Aussicht. Damit reagieren die Notenbanker auf die weiterhin extrem hohen Inflationsraten im Euro-Raum. Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender des Baufinanzierungsvermittlers Dr. Klein, ordnet die Entwicklung der Baufinanzierungszinsen vor diesem Hintergrund ein.
Nach dem explosionsartigen Anstieg der Bauzinsen bis April hat sich die Dynamik im Mai etwas beruhigt. Neumann erwartet auch für die kommenden Monate keine so drastische Entwicklung mehr wie zu Beginn des Jahres. Wohl aber ein weiter steigendes Niveau bei hoher Volatiliät: „Noch ist nicht abzusehen, wann die Inflationsraten ihren Zenit erreicht haben – und wie die EZB weiter vorgehen wird. Und bis dahin werden die Forderungen an die ETB, entschieden einzugreifen, immer massiver werden.“ Zusätzlicher Druck komme auch von der US-amerikanischen Fed: Von ihr werden im Juni und Juli Zinsschritte von jeweils 0,5 Prozentpunkten erwartet – doppelt so hoch wie üblich. Auch die Abhängigkeit Deutschlands vom Energielieferanten Russland gilt weiterhin als wirtschaftliches Risiko. Das macht die Bundesanleihen weniger interessant, erhöht deren Rendite und damit auch die Baufinanzierungszinsen.
In Folge rechnet Neumann mit einem Anstieg des Bestzinses auf über drei Prozent in diesem Jahr. Zugleich macht er darauf aufmerksam, dass dieses Niveau eher den Normalzustand darstellt: „Das extreme Tief der vergangenen Jahre war für Hauskäufer natürlich vorteilhaft – für den Gesamtmarkt aber völlig unnatürlich und schädlich“, kommentiert er. „Weil zu viel billiges Kapital im Markt war, hat eine ungesunde Preisexplosion bei Sachwerten wie Aktien und Immobilien stattgefunden.“ Ihm zufolge löse sich das nach und nach auf: Zumindest am Aktienmarkt werde schon seit einigen Wochen wieder viel genauer hingeschaut, wohin das Geld fließt, und der Immobilienmarkt büße vor allem bei institutionellen Investoren an Attraktivität ein.
Dass die höheren Zinsen die Preise für Wohneigentum in absehbarer Zeit nach unten ziehen, hält Neumann für wenig realistisch. Aber: „Es kommt Bewegung in den Markt. Erste Indizien, dass die Preisdynamik abflaut, sehen wir vermutlich schon in diesem Quartal. Angesichts des aktuellen Zinsniveaus sind einige Käufer nicht mehr bereit, sich auf die hohen Immobilienpreise einzulassen – oder sie können sie sich schlichtweg nicht mehr leisten“, beobachtet er. Das Ende der extremen Preiszuwächse erwartet der Experte am ehesten in weniger prosperierenden Lagen. Ihm zufolge wichen immer mehr Interessenten auf Randlagen aus oder entschieden sich für Bestandsimmobilien statt Neubau.
Aktuell stellt Neumann noch eine hohe Nachfrage fest, die er auf Vorzieheffekte zurückführt: „Bevor der Zins weiter steigt, beeilen sich viele, jetzt noch eine Immobilie zu kaufen.“ Preistreibend wirkt auch das begrenzte Angebot: Der Neubau ist durch hohe Materialpreise und Lieferengpässe behindert, gleichzeitig geben zurzeit weniger Eigentümer ihre Immobilie in den Verkauf, weil die rekordhohe Inflation den Erlös schnell dezimiert. „Bis sich das wieder auflöst und Immobilienpreise in größerem Ausmaß sinken, kann es noch lange dauern“, schätzt Neumann, und ergänzt: „In zentralen Lagen beliebter Metropolen werden Interessenten erst einmal vergeblich auf stagnierende oder sogar nachgebende Preise warten. Dafür verfügen bestimmte Käufergruppen weiterhin über ausreichend Kapital.“ (DFPA/JF1)
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